Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
lasse, und jetzt, wo er da ist, möchtet Ihr, dass ich Meister van Cleef wegschicke?« Johannes schüttelte verwirrt den Kopf, dabei verrutschte seine Perücke, die er mit einer schnellen Bewegung wieder zurechtschob. »Wie stellt Ihr Euch das nur vor?«, fuhr er fort. »Man hat einen gegenseitigen Kontrakt unterzeichnet. Wenn ich diesen breche, bin ich dem Maler eine saftige Pönale schuldig. Ich bin zudem nicht gewillt, mein Geld für ein Porträt aus dem Fenster zu werfen, das nur zur Hälfte fertiggestellt ist.« Er stieß empört die Luft aus. »Frauen!«, murmelte er und setzte sich aufs Kanapee.
»Aber …«, begann Bernhardine, doch er unterbrach sie mit einer unwirschen Handbewegung. Sein Gesicht hatte sich gerötet, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er griff sich an den Hals, um seine Binde zu lockern.
»Damit ist alles gesagt, Madame. Der Holländer wird das vermaledeite Bild zu Ende pinseln, danach kann er meinetwegen hingehen, wo der Pfeffer wächst!«
Bernhardine riss schockiert die Augen auf, schluckte die scharfe Erwiderung, die ihr schon auf der Zunge lag, aber hinunter. Wenn ihr Gatte in dieser Stimmung war, war es klüger, zu schweigen und eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Die neue Kirche wagte sie erst gar nicht zu erwähnen. Sie würde Cornelis eben aus dem Weg gehen müssen. Das Schloss war groß genug. Und von sich aus würde er es wohl kaum wagen, in ihre Gemächer vorzudringen. Die Porträt-Sitzungen waren ohnedies müßig. Ihr eigenes Antlitz hatte Cornelis bereits gemalt, das der Zwillinge in ihrer Wiege war ohnehin nicht richtig zu erkennen, und Désirée würde er eben, wie er es ihr versprochen hatte, aus dem Gedächtnis zeichnen müssen.
»Ganz wie Ihr meint, mein Gemahl«, erwiderte sie gehorsam.
Worauf Johannes besänftigt knurrte und auf den Durchgang zu den Kinderzimmern starrte. Er rieb sich mit der Hand über die Brust. Eine Geste, die sie in letzter Zeit öfter an ihm beobachtet hatte. Als ob ihn ständig der Juckreiz plagte.
»Wie geht es meinen Buben?«, fragte er unvermittelt.
»Sie kränkeln nach wie vor«, erwiderte Bernhardine. »Die normalen Erkältungsmittel helfen nicht. Man sollte einen Arzt rufen.«
Johannes hob die Augenbrauen und wies mit dem Kopf zum Fenster. »Darf ich Euch auf die derzeitigen Wetterverhältnisse aufmerksam machen, Madame?«
Die Röte schoss Bernhardine ins Gesicht. Das war zu viel! »Danke für die Belehrung, Monsieur«, erwiderte sie spitz. »Ich weiß selbst, dass draußen tiefster Winter herrscht. Aber bis zum Frühling zu warten könnte fatale Folgen haben. Dann hätten wir womöglich drei frische Grabhügel statt eines auf dem Gottesacker zu verzeichnen. Wollt Ihr das etwa?«
Johannes schnellte vom Kanapee hoch.
»Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen? Ich höre aus Euren Worten den Vorwurf heraus, dass mir meine Kinder einerlei seien. Eine infame Unterstellung und bar jeden Wahrheitsgehaltes! Seid froh, dass mich meine gute Erziehung daran hindert, Euch für diese Worte eine Backpfeife zu geben. Ihr dummes, arrogantes Frauenzimmer!« Er schnaufte heftig und rieb sich dabei immer wieder über die Brust. »Hätte ich bloß auf Gerold gehört, der mich davor gewarnt hat, ein so junges verwöhntes Gör zu ehelichen, nur um einen Erben zu zeugen. Der Himmel möge mir verzeihen, aber ich verfluche den Tag, an dem ich um Eure Hand angehalten habe. Ach, Viktoria, Viktoria … warum nur?«
Bernhardine war sprachlos angesichts dieses Ausbruchs. Sie war zu entsetzt, als dass sie in irgendeiner Weise hätte reagieren können. Sogar ihre Augen blieben trocken. So war das also! Ihr Schwager hatte schon von Anfang an gegen sie intrigiert. Und Johannes liebte seine erste Frau noch immer, während sie selbst nicht viel mehr war als eine Muttersau, die man für den Nachwuchs gebraucht hatte.
Ihr Körper versteifte sich. Sie starrte auf ihre Stickarbeit, als sähe sie diese zum ersten Mal. Die Welt begann, sich um sie herum zu drehen. Bernhardine fühlte sich plötzlich leicht wie eine Schneeflocke. Sie verließ ihren Leib, schwebte zur Decke hinauf und sah von dort oben, wie Johannes keuchend vor ihr stand und mit den Händen fuchtelte. Sein Mund war verzerrt, die Perücke hing schief. Seine Worte konnte sie nicht verstehen, sie nahm lediglich wahr, dass sich seine Lippen bewegten. Wulstige Bänder, die ein schwarzes Loch umschlossen, das immer größer wurde. Die Stickarbeit glitt ihr aus den Fingern, ihre Augen
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