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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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Gerold, Johannes’ jüngerer Bruder, lehnte an einem Pfeiler und beobachtete sie. Sie mochte ihn nicht, versuchte aber, ihn höflich zu behandeln. Ganz im Gegensatz zu ihm, der seine Abneigung für seine neue Schwägerin unverhohlen zeigte. Bis jetzt hatte Bernhardine aber noch nicht herausgefunden, weshalb sie ihm so missfiel.
    »Hässlicher Mensch«, murmelte sie, lächelte aber dabei und nickte ihrem Schwager zu. Gerold blickte zur Seite, stieß sich von der Säule ab und strebte dem Ausgang zu. Er zog beim Gehen die Schultern hoch, als würde er jeden Moment einen Schlag auf den Hinterkopf erwarten. Bernhardine dachte an den einarmigen Jungen. Schade, dass er nicht hier war, um diese alte Krähe mit seiner Steinschleuder zu erledigen. Dafür hätte sie ihn glatt mit einem Stück Schinken belohnt.
    Ihr Hochzeitstag hatte in den frühen Morgenstunden mit einem strahlend blauen Himmel aufgewartet, mittlerweile war es aber so schwül geworden, dass ihr das Brautkleid am Körper klebte. Über dem See ballten sich dunkle Wolken, und in der Ferne hörte man Donnergrollen. Ein schlechtes Omen?
    Bernhardine hatte den Tag wie in einer Art Trance verbracht und kaum einen Augenblick verschnaufen können. Sie hatte gelächelt, bis ihr der Kiefer schmerzte. Die vielen Menschen um sie herum waren im Laufe der Zeit zu einer homogenen Masse aus Augen, Mündern und Händen verschmolzen. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie ein unaufhaltsamer Strudel immer weiter in die Tiefe zog und zu ersticken versuchte. In dem Moment, in dem sie ihre schmerzenden Füße lockerte, traf sie die Erkenntnis wie ein Keulenschlag. Ihre Kindheit war vorbei! Endgültig. In dieser Nacht würde Johannes ihr das erste Mal beiwohnen. Er hatte schon alle ihre Utensilien in sein Zimmer bringen lassen. Bernhardines Mund wurde trocken. Würde sie alles richtig machen? Würde sie überhaupt etwas machen müssen? Sie hatte schon Pferde bei dieser Sache beobachtet, sich jedoch meist entsetzt abgewandt. Menschen konnten so etwas doch unmöglich miteinander tun? Oder doch? Ihre Schwester hatte ihr vor einer halben Stunde mit hochrotem Kopf und hinter aufgeschlagenem Fächer den Rat erteilt, stillzuliegen und es einfach zu ertragen … es würde nicht lange dauern. Aber was war »es«?
    Bernhardine betrachtete ihren Gemahl, wie er mit ihrer Mutter über die Tanzfläche schritt. Seine Hamsterbacken waren gerötet und glänzten. Über dem Hochzeitsstaat trug er eine violette Schärpe, geschmückt mit Orden, die ihn als Lehnsherren auswiesen. Bernhardine hatte ihn überreden können, einen moderneren Justaucorps anzuziehen, der nur noch knapp bis zu den Knien reichte. Auch seine stinkenden Perücken hatte sie kurzerhand weggeworfen und ihm neue machen lassen. Johannes sah zwar immer noch nicht wie ein griechischer Gott aus, aber wenigstens musste sie sich seiner nicht mehr schämen. Ihre vornehme österreichische Verwandtschaft tuschelte hinter vorgehaltener Hand über das Schloss, seine Bewohner und vor allem über Johannes; Bernhardine versuchte, dieses Getratsche zu ignorieren. Es war schließlich eines jeden Weibes Pflicht, loyal hinter seinem Mann zu stehen.
    Bernhardine beobachtete verstohlen die Anwesenden. Die meisten Gäste kannte sie nicht, ein paar wenige dem Namen nach. Unvermittelt fühlte sie sich schutzlos und elend. Sie war eine Fremde unter Fremden! Würde sie sich hier je heimisch fühlen? Johannes suchte ihren Blick. Offenbar ahnte er, was in seiner Braut gerade vorging, denn er entschuldigte sich wortreich bei seiner neuen Schwiegermutter, machte einen Kratzfuß und führte Amandine zu den anderen Damen, die sich in der Nähe des Kamins aufhielten. Dann gesellte er sich zu seiner Braut.
    »Ist Ihnen nicht gut, meine Teuerste?«, fragte er und schaute ihr prüfend ins Gesicht.
    »Es geht schon, Monsieur«, versicherte Bernhardine und nahm noch einen Schluck Wein. »Nur eine kleine Unpässlichkeit.«
    Johannes legte die Stirn in Falten, wandte sich um und hob den Arm. Die Musikanten hörten augenblicklich auf zu spielen, und die Gäste drehten sich erstaunt um.
    »Liebe Freunde. Es ist für uns nun an der Zeit, Euch zu verlassen.« Ein paar der Herren lächelten maliziös und zwinkerten Johannes zu. Einige der Damen kicherten und stießen sich gegenseitig mit ihrem Fächer an. »Meine Braut und ich sind müde. Wenn vielleicht auch nicht aus denselben Gründen …« Gelächter füllte den Saal. Johannes hob schmunzelnd die Hände.

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