Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
»Feiert aber bitte weiter, liebe Freunde! Heute reut es mich nicht. Trinkt auf meine hinreißende Frau, Euren Herrn und auf die von Hallwyl! Auf dass dieses Geschlecht noch lange die Geschicke des Seetals lenke. Mit Gottes Hilfe schon bald in der nächsten Generation.«
Bernhardine senkte den Kopf und errötete heftig, die Gäste lächelten, hoben ihre Kelche und prosteten dem Brautpaar zu.
»Madame …« Johannes bot ihr seinen Arm, und unter dem Applaus der Anwesenden verließen sie den Hochzeitssaal.
Im Schlafgemach brannten Kerzen. Es war stickig; der Geruch von Wachs und ungelüfteter Bettwäsche lag in der Luft. Bernhardine stand steif wie ein Stock an der Wand und sah zu, wie Johannes seine Kleider ablegte. Er würde doch nicht etwa …! Vor ihr …?
Sie keuchte und schlug sich die Hand vor den Mund. Ihr Gatte wandte sich um. Er hatte bereits seinen Oberrock und die Schärpe ausgezogen und war gerade im Begriff, die Weste aufzuknöpfen. Johannes schaute Bernhardine mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann kräuselten sich seine Lippen, und er meinte: »Möchte Madame eventuell nebenan Ihr Schlafgewand überziehen? Ich kann nach Marie läuten.«
Bernhardine nickte stumm. Ihre Knie fühlten sich an wie Haferbrei, und sie befürchtete, gleich in Ohnmacht zu fallen. Johannes griff nach der Silberglocke auf dem Nachttisch und läutete. Ein paar Wimpernschläge später klopfte es an die Tür, und ein Diener steckte den Kopf herein.
»Gehe Er und hole Er die Amme!«, befahl Johannes, setzte sich aufs Bett und begann, seine Strümpfe herunterzurollen.
Gleich darauf linste Marie durch den Türspalt. »Herr?«
»Helfe Sie der Herrin beim Ausziehen!«, sagte er, wobei sich seine Mundwinkel amüsiert nach oben zogen.
Bernhardine wurde wütend. Machte er sich etwa lustig über sie? Sie öffnete schon den Mund zu einer scharfen Erwiderung, als Marie sie am Arm packte und in die Nebenkammer zog. Energisch schloss sie die Tür.
»Du dummes Gör!«, zischte sie. »Reiß dich zusammen und benimm dich!«
»Wie redest du denn mit mir? Ich bin jetzt hier die Herrin, und du hast mir Respekt zu erweisen.«
Marie schnaubte und griff nach den Knöpfen des Hochzeitskleides.
»Respekt, Respekt!«, äffte sie Bernhardine nach. »Respekt wird demjenigen erwiesen, der ihn verdient. Ich sehe nur ein dummes Mädchen vor mir, das sich kindisch aufführt.«
Bernhardine schluckte. Eine Träne kullerte über ihre Wange. »Ich habe Angst, Marie.«
Marie zog ihr den Rock aus und öffnete das Mieder.
»Es wird nur beim ersten Mal weh tun, Dinchen«, sagte sie, und Bernhardine schluchzte auf, als sie ihren alten Kosenamen vernahm. »Du wirst dich daran gewöhnen«, fuhr Marie fort, »wie alle Frauen.« Sie nahm Bernhardine die Perücke ab und streifte ihr das Nachtgewand über den Kopf. Dann griff sie in ihre Schürze und holte einen kleinen Stoffbeutel hervor. »Hier!« Sie drückte ihr das Säckchen in die Hand. »Lege das unters Kopfkissen!«
Bernhardine schnupperte an dem Beutel. Er duftete schwach nach Rosen und Nelken.
»Und warum?«
»Das besänftigt den Stier im Manne«, sagte Marie und zupfte resolut an Bernhardines Nachtgewand herum.
»Den Stier? Ich verstehe nicht.«
Marie kicherte leise. »Mach einfach, was ich dich geheißen habe. Und jetzt hab Mut und geh!«
Sie nickte ihr nochmals aufmunternd zu und schob sie sanft zur Tür. Bernhardine rieb sich die eiskalten Hände und straffte die Schultern. Dann öffnete sie erneut die Schlafzimmertür.
Draußen rüttelte der Wind an den alten Eichen, die Fensterläden klapperten, und der Donner ließ die Bodendielen erzittern. Ein Sturm zog auf.
Die Kerzen waren bis auf die zwei, die auf den Nachttischen standen, ausgegangen. Das Schlafzimmer wirkte in der Dunkelheit größer. Von Johannes fehlte jede Spur. Bernhardine lief eilig auf das Ehebett zu, froh, sich ihrem Gemahl nicht im Nachthemd zeigen zu müssen, und schlüpfte unter die Bettdecke. Sie steckte den Stoffbeutel hastig unters Kopfkissen und faltete die Hände über dem Bauch. Johannes war auf dem Abort. Bernhardine atmete auf. Eine kurze Galgenfrist.
Die Bänder ihrer Schlafhaube hatten sich selbständig gemacht, und mit zitternden Fingern schnürte sie einen ordentlichen Knoten. Sodann stopfte sie ihre Locken unter die Haube, zog die Decke bis zum Kinn hoch und zählte die Schläge ihres Herzens. Die Geräusche, die aus dem Örtchen zu ihr ins Zimmer drangen, trugen nicht dazu bei, ihre Nerven zu beruhigen.
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