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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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platzierte die Bücher mit einem Seufzer auf einem Glastisch. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Eine Affenhitze ist das heute!«
    Anouk lachte. »Ja, kaum zum Aushalten! Ich suche Gedichte«, beantwortete sie darauf die ihr gestellte Frage, »alte Gedichte.«
    Die Bibliothekarin wies mit der Hand auf die gegenüberliegende Wand. »Von Schiller über Goethe bis hin zu Droste-Hülshoff haben wir alles da, was das Dichterherz begehrt. Mein Vorgänger hatte ein Faible für Lyrik.«
    Die Frau verdrehte theatralisch die Augen.
    Anouk schluckte, als sie die vielen, mit Büchern vollgepfropften Regalreihen erblickte. Um das alles durchzugehen, bräuchte sie ja Jahre!
    »Ich suche ein bestimmtes Gedicht.«
    Die Angestellte runzelte die Stirn. »Kennen Sie vielleicht dessen Titel oder Verfasser?«
    Anouk schüttelte den Kopf. »Nur ein paar Worte … leider.« Sie hob entschuldigend die Achseln.
    »Na, dann schauen wir doch mal, was Schwester Klara dazu meint.«
    »Schwester Klara?«
    Die Frau lachte schallend. »So heißt unser Computer. Die Schüler haben ihn so getauft. Ich kann den Teil der Verse oder die Worte, an die sie sich erinnern, eingeben, und wenn wir Glück haben, spuckt er beziehungsweise sie daraufhin einen Autorennamen aus. Ist wie googeln. Wollen wir?«
    Anouk nickte erfreut. Die Bibliothekarin setzte sich an ein Pult und startete den Computer. Auf dem Bildschirm erschien eine Aufnahme von Schloss Hallwyl samt einer Eingabemaske.
    »Bereit?«

    Vor dem Haus ihrer Großtante parkte der Van eines Kurierdienstes, als Anouk eine Stunde später wieder ins Trottengässli einbog. Ein Mann in einem hellblauen Hemd stieg gerade aus, öffnete die Schiebetür und zog ein breites, flaches Paket heraus.
    »Sind Sie Valerie Morlot?«, fragte er und hielt ihr ein MDE-Gerät unter die Nase.
    »Ihre Großnichte«, erwiderte Anouk und stellte das Fahrrad in den Schuppen.
    »Gut, dann können auch Sie unterschreiben.«
    Er hielt ihr das schwarze Scanner-Kästchen mit Unterschriftsfeld und einen Stift unter die Nase. Anouk quittierte den Empfang, und der Kurier drückte ihr das Paket in den Arm.
    »Schönen Tag noch.«
    Er tippte zum Gruß mit dem Finger an die Stirn, stieg in seinen Van und fuhr rückwärts aus der Einfahrt.
    »Kostümverleih Hächler« stand auf dem Paket. Anouk schürzte die Lippen. Was zum Henker wollte Tati Valerie mit einem Kostüm? Fastnacht war doch erst im Februar, und von einem Maskenball mitten im Sommer hatte sie nichts gehört. Sie bugsierte den unförmigen Karton durch die Haustür und stellte ihn vor die Treppe.
    In ihrer Tasche befand sich der Bestellschein für zwei Lyrikbände. Die Angestellte der Bibliothek hatte mit Schwester Klaras Hilfe zwei Namen gefunden: Christiana Mariana von Ziegler und Sidonia Hedwig Zäunemann. Beides Dichterinnen aus dem achtzehnten Jahrhundert, die, im Zuge einer Hommage an die Frauen in der Dichtkunst, vor ein paar Jahren neu aufgelegt worden waren. Leider gehörten die Bücher nicht zum Bestand der Seenger Bibliothek, aber die freundliche Bibliothekarin hatte Anouk versprochen, ihr Möglichstes zu tun, damit beide Exemplare bis Mitte der Woche geliefert werden würden.
    Anouk wusste nicht so recht, was sie mit den Lyrikbändchen anfangen sollte. Was würde es ihr letztendlich nützen, wenn sie den Verfasser der Zeilen kannte? Aber etwas in ihr drängte sie dennoch dazu herauszufinden, was es mit den rätselhaften Versen auf sich hatte.
    Ihre Großtante trat aus der Küche und klatschte erfreut in die Hände, als sie das Paket erblickte.
    »Endlich! Mein Reifrock ist da.«

    »Nicht so fest!«
    Valerie griff sich an die Brust und keuchte. Nicht weniger als Anouk, die versuchte, die Bänder des Korsetts festzuzurren. Sollte sie vielleicht ihren Fuß gegen Tatis Hintern stemmen? Die Vorstellung erheiterte sie so sehr, dass sie lachen musste, dabei ließ sie die Schnüre los, und das Mieder platzte wie eine reife Tomate auf.
    »Mein Gott, wie müssen diese armen Frauen früher gelitten haben. Das ist ja die reinste Folter!« Valerie setzte sich seufzend auf ihr Bett und schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass die alle naselang in Ohnmacht gefallen sind.«
    Anouk nickte und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Auf einem Stuhl lag das Kleid, das sich ihre Großtante beim Kostümverleih bestellt hatte. Ein Ungetüm aus hellgelbem Damast, bedruckt mit Rosenknospen und Schmetterlingen. Am Dekolleté, an den Puffärmeln und am Saum war es

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