Die Frau meines Lebens
Stimme. »Was ist mit Dimitri? Ist etwas
passiert?!« Ich konnte förmlich sehen, wie sie aufgeschreckt auf ihre kleine
goldene Armbanduhr starrte und realisierte, wie spät es war. In diesem Moment
tat sie mir wirklich leid, und ich fühlte mich wie so ein beschissener Mafioso,
der über Leichen geht, um an sein Ziel zu kommen.
»Hören Sie,
Madame Antonova – Sie sind doch Olga Antonova, oder?« vergewisserte ich mich.
»Ja, ja!«
rief sie aufgeregt. »Was ist mit Dimitri?«
»Mit
Dimitri ist alles in Ordnung!« schrie ich in den Hörer. »Alles in Ordnung!«
wiederholte ich und hörte einen erleichterten Seufzer. »Es tut mir leid, daß
ich so spät anrufe, ich wollte Sie nicht beunruhigen, aber Isabelle hat mir
diese Nummer gegeben. Kann ich sie vielleicht sprechen?«
»Isabelle? – Isabelle ist nicht da.«
Bingo! Wenn
Isabelle nicht da war, gab es sie zumindest. Ich winkte Nathan freudig zu.
»Wissen
Sie, wann sie wiederkommt?« fragte ich gespannt.
»Was weiß
ich? Sie ist ausgegangen. Die jungen Leute müssen immer feiern, feiern, feiern …«
»Aber sie …
sie wohnt doch bei Ihnen, oder?«
»Nein!«
Ihre Stimme klang plötzlich erbost. »Ich kann mich noch sehr gut selbst
versorgen, wissen Sie?« Sie murmelte etwas Russisches, was ich nicht verstand,
aber es hörte sich nicht sehr freundlich an.
»Aber …«
stammelte ich verwundert. »Ich meine, warum …« Ich verstummte.
»Hallo?
Sind Sie noch dran?« fragte Olga. Sie gähnte und schien allmählich das
Interesse an unserem Gespräch zu verlieren. Ich mußte verhindern, daß sie
auflegte.
»Ja, ja,
natürlich«, rief ich. »Madame Antonova, bitte legen Sie nicht auf. Es ist sehr
wichtig, daß ich mit Isabelle spreche. Wie … wie kann ich sie erreichen? Ich
meine … wo wohnt Isabelle denn, wenn das nicht ihre Wohnung ist?« Ich biß mir
auf die Zunge. Die Wohnung schien ein Reizthema für die alte Dame zu sein.
»Isabelle
wohnt in Boissy-sans-Avoir«, erklärte sie mit lauter Stimme.
Boissy-sans-Avoir
lag ungefähr fünfzig Kilometer von Paris entfernt. Ein kleiner, friedlicher
Ort, der dadurch traurige Berühmtheit erlangt hatte, daß Romy Schneider dort
begraben liegt.
»Dann ist
Isabelle also bei Ihnen zu Besuch?« hakte ich vorsichtig nach. Mein Gott, war
das kompliziert mit der russischen Gräfin.
»Hallo?«
schrie sie wieder. »Ich höre nichts mehr!«
»Isabelle
ist zu Besuch bei Ihnen, zu Besuch! «
wiederholte ich und erhöhte meine Phonstärke um ein Hundertfaches.
»Ja, zu
Besuch.« Olga schien zu nicken. »Sonntag fährt sie wieder nach Hause, das liebe
Kind.« Sie klang zufrieden. »Sie kommt mich oft besuchen.«
»Na, das
ist doch wunderbar.« Ich war erleichtert, daß Isabelle nicht irgendwo in
Australien wohnte. »Bitte, können Sie ihr ausrichten, daß ich angerufen habe?«
»Ja.« Sie
schwieg verunsichert. »Wie war Ihr Name?«
»Antoine«, antwortete
ich geduldig und in angemessener Lautstärke. »Antoine Bellier – ich hatte auch
auf den Anrufbeantworter gesprochen.« Nicht, daß die alte Olga meine Nachricht
löschte! »Warten Sie, haben Sie etwas zu schreiben? Ich gebe Ihnen meine
Nummer.«
Ich hörte,
wie es klapperte, der Hörer wurde abgelegt, dann hörte ich leises Murmeln,
Rascheln, Murmeln. Ich betete stumm, daß Olga auf der Suche nach einem Stift
nicht vergaß, ans Telefon zurückzukehren.
»Die Alte
holt jetzt was zum Schreiben«, erklärte ich Nathan, der mein Telefonat wie eine
kabarettistische Darbietung verfolgte. »Isabelle ist nur zu Besuch, aber sie
kommt auf jeden Fall später wieder.« Ich reckte den Daumen in die Höhe, und
Nathan prostete mir zu. Ich hatte Isabelle ausfindig gemacht. Alles andere
würde sich finden, wenn wir endlich miteinander reden konnten.
»Hallo?
Antoine?« Vor Überraschung fiel mir fast das Handy aus der Hand. Olga hatte
meinen Namen behalten. Es bestand Hoffnung. Ich gab ihr meine Nummer durch, so
laut ich konnte. Sie schrieb sie auf und wiederholte sie dann falsch. Ich
wiederholte sie richtig. Sie strich die falschen Ziffern aus und setzte neue
Zahlen darüber. Sie las sie erneut vor.
»Nein!«
rief ich verzweifelt. »Nicht drei-vier-zwei am Ende! Zwei-vier-drei,
zwei-vier-drei.«
»Zwei-vier-drei-zwei-vier-drei«,
wiederholte sie mit zittriger Stimme.
»Ja, genau!
Aber nur einmal! « Ich flehte zum
Himmel, daß Olga es diesmal richtig machte.
»Seien Sie
unbesorgt, junger Mann, ich werde alles ausrichten.« Madame Antonova klang mit
einem Mal ganz
Weitere Kostenlose Bücher