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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Hängeschränken ­angebracht waren. In blauer Schnörkelschrift stand auf den Fächern »Salz«, »Grieß«, »Reis«, »Nudeln«. Es waren viele Schubfächer, alle waren weiß emailliert, und alle waren beschriftet.
    Und spätestens jetzt, sagte Clemens mit beun­ruhigend gedämpfter Stimme, während er einem Kühlschrank hinter sich eine Packung aus Pappma­schee entnahm und vor den Augen seiner Zuschauer aufklappte. Spätestens jetzt, sagte er und hielt mit gestrecktem Arm voller Abscheu ein Ei so weit von sich weg, wie er konnte, machte eine kleine Pause und sagte dann, allerspätestens mit dieser Zutat wurde die Tätigkeit nicht nur beschwerlich, sondern ernsthaft gefährlich.
    Pola sagte leise, ich hör wohl nicht richtig.
    Wart nur ab, sagte Abramowski.
    *
    Jule Tenbrock stand neben Luisa da Rica und be­obachtete ihren Nachbarn und Pola Nogueira. Der Hund war nicht dabei.
    Die beiden waren vertraut miteinander, gelegentlich flüsterte einer dem anderen etwas zu. Inmitten der Menge der Zuschauer sahen sie aus wie eine ­Insel. Wie eine Zweierinsel, dachte Jule und spürte ein ziehendes Gefühl in der Brust.
    Vorne in der » Cooking Corner « zog Clemens mehrere Dinge aus den Schubladen und Unterschränken seiner Retro-Küche. Was die Großmütter alles so brauchten.
    Kartoffelschälmesser, hörte Jule, Gemüsereibe, Schneidebrett, Bratpfanne, teflonbeschichtet, und nun zur Publikumsfrage: Wer traut sich? Hat einer Mut?
    Er hielt ein kleines Messer mit rotem Griff und eine Zwiebel hoch.
    Niemand antwortete, und Clemens begann, ein paar Kartoffeln zu schälen und zu reiben. Während er sich ungeschickt damit abmühte, sagte er, und was, meine Damen und Herren, machten unsere Großmütter mit all den Kartoffeln, dem Mehl, dem Öl und den Zwiebeln, die sie für ihre Kartoffelpuffer nicht brauchten?
    Nach einer Pause, in der die Zuschauer ratlos abwarteten, was die Großmütter wohl damit gemacht hatten: Richtig. Sie mussten sie lagern. Sachgerecht lagern. Er drehte sich in seiner Showküche um: Aber wie und wo? Sie haben es erraten, meine Damen und Herren, an sachgerechte Lagerung war nicht zu denken. Kühl und dunkel muss gelagert werden, sonst entstehen gesundheitsgefährdende Keime, die sich unkontrolliert vermehren.
    Keime, hörte Jule, unkontrolliert vermehren. Sie sah, wie Pola aufgeregt mit Abramowski tuschelte.
    Das Öl wurde ranzig, sagte Clemens. Das Mehl war voller Motten. Und was dann? Alles ab in den Müll. Was für eine Verschwendung. Was für eine Gesund­heitsgefahr. Und ich bin noch nicht einmal bei den Eiern.
    Er hatte zwei Kartoffeln geschält und sich beim Reiben die Kuppe des rechten Zeigefingers verletzt.
    Sanitäter, bitte rasch Desinfektion und ein Pflaster, ich blute, rief er in die Meile. Jule erschrak. Pola zog heftig an ihrem Trinkhalm, pustete pathetisch in die Luft, verschluckte sich und fing an zu kichern. Sie schubste Abramowski am Arm, aber der legte ­einen Finger auf den Mund und deutete mit dem Kopf nach vorn, wo Clemens ein paar Zahlen nannte, während er auf die Versorgung seiner Wunde warten musste.
    Ein Viertel aller Lebensmittel, hörte Jule. Ab in den Müll. Verdorben. Und anderswo gab es Hunger.
    Hunger, das mag man sich heute nicht vorstellen, aber, meine Damen und Herren, vergessen Sie nicht: Zur Zeit unserer Großmütter betrug die Bevölkerungszahl etwa sieben Milliarden. Sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt. Wahnsinn, oder.
    Das Publikum gab mit einem leisen Grollen seine Zustimmung. Wahnsinn, oder.
    Ein Sanitäter im Laufschritt erreichte »Grandma’s Cooking Corner« und setzte eine Ambulanztasche mit dem Stiftungslogo auf die Arbeitsplatte. Antibakteriell, hörte Jule und konnte den Blick nicht von der Zweierinsel in der Menge des siebten Distrikts wenden. Eben nickte Abramowski, offenbar hatte Pola etwas gesagt, was seine Zustimmung fand.
    Und jetzt, sagte Clemens, nachdem seine Wunde mit Polyhexanid und einem Pflaster versorgt war, jetzt werden wir die geriebenen Kartoffeln mit einem Löffel Mehl vermischen, dazu geben wir etwas Salz und ein Ei.
    Er lehnte sich weit zurück, während er das Ei aufschlug, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, das Publikum begleitete den unappetitlichen Vorgang des Eiaufschlagens mit ausgiebigen Geräuschen seines Missfallens.
    Clemens wusch sich erneut die

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