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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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zum Tanzen hatte.
    Alle anderen amüsieren sich prächtig, nur man selbst ist überflüssig und unsichtbar, dachte sie.
    Von hinten legte ihr jemand einen Gipsarm auf die Schulter.
    Sind Sie auch ganz allein auf dem Fest, sagte Frau da Rica. Sie hatte einen Becher Wein in der Hand und war bester Stimmung.
    Jule sagte, meine Freundin hat eben gesteppt, und mein Freund macht diesmal die »Cooking Corner«.
    Nichts wie hin, im Übrigen heiße ich Luisa, sagte Frau da Rica und streckte ihr die Hand hin.
    Jule vergaß, die Hand zu nehmen, denn in dem Moment sah sie auf der Tanzfläche Timon Abramowski. Die Frau, mit der er tanzte, hatte heute keinen schmutzigen alten Herrenmantel an, sondern ein Kostüm. Schmaler Rock, dazu eine senffarbene Kurzjacke im Glockenschnitt. Mode von vor zwei Jahren, aber sie sah hübsch darin aus. Die Haare hatte sie mit einem glitzernden Kamm hinten hochgesteckt. In der linken Hand hielt sie zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger einen rot-weiß gestreiften Trinkhalm, den sie während des Tanzens manchmal in den Mund steckte. Dann atmete sie tief ein, streckte den Trinkhalm mit einer etwas gespreizten Handbewegung von sich weg und pustete die Luft aus, die sie durch den Trinkhalm eingesogen hatte, und beide lachten.
    *
    Unsere Großmütter mussten bereits beim Einkauf in ihren Edeka- oder Aldi- und Lidl-Märkten Schwerstarbeit leisten, sagte der Mann, dessen Vorführung Pola unbedingt verfolgen wollte. Er stand hinter einer Küchenzeile, von der im Programmheft angekündigt war, dass sie exklusiv für »Grandma’s Cooking Corner« angefertigt worden sei, im originalen Retrolook und mit historischem Inventar.
    Timon flüsterte Pola ins Ohr, das ist der Hygienemann von Jule Tenbrock.
    Clemens fuhr fort: Für Kartoffelpuffer, wie wir sie heute zubereiten wollen, schleppten die Omas folgende Zutaten vom Supermarkt bis in ihr Domizil, das womöglich im dritten oder vierten Stockwerk lag, Treppensteigen also im Schleppen sehr häufig mit inbegriffen.
    Er griff in den großen Kartoffelsack, der auf der Anrichte seiner Showküche stand, und sagte: Natürlich hätten sie jede Kartoffel auch einzeln erwerben können. Diese etwa würde für einen Puffer schon reichen.
    Er hielt eine Kartoffel in die Höhe und sagte, wie Sie sehen, klebt eine Menge Lehm an der Knolle. Eine nicht unbeträchtliche, fügte er hinzu, ging zu einem großen Waschbecken, das in die Arbeitsplatte eingelassen war, drehte den Hahn auf, und während er sich unter laufendem Wasser die Hände wusch und mit einer Bürste den Lehm von seiner Kartoffel schrubbte, sagte er, was für eine Ressourcenvergeudung.
    Das Publikum gab einen dunklen Ton von sich. Was für eine Vergeudung.
    Allerdings, sagte Clemens, nachdem es wieder still geworden war, allerdings war es zur Zeit unserer Großmütter kaum möglich, Kartoffeln oder – hier die nächste Zutat für unser heutiges Gericht – Zwiebeln in angemessener Menge für ein einzelnes Gericht zu erstehen, üblich waren vielmehr solche Mengen.
    Er wuchtete mit der rechten Hand ein Netz Kartoffeln und mit der linken eines mit Zwiebeln auf seine Arbeitsplatte. Und das noch fürs Apfelmus, sagte er und hob einen Sack mit roten Äpfeln hoch.
    Fünf Kilo Kartoffeln, zwei Kilo Äpfel, sagte er und schüttelte demonstrativ die Hand, mit der er die Kartoffeln hochgewuchtet hatte, um anzudeuten, dass sie vom Gewichtheben schmerzte, dann zeigte er auf die Zwiebeln und sagte, fünf plus zwei plus drei macht?
    Zehn, schrie die Menge.
    Plus, sagte er, dabei bückte er sich erneut und stellte eine große gelbe Plastikflasche und eine weiße Packung zu den ersten Zutaten auf die Arbeitsplatte. Plus drei Liter Öl zum Braten, für einen einzigen Reibekuchen oder drei oder meinetwegen auch vier oder zehn besorgten sich unsere Großmütter die gewaltige Menge von mindestens einem, üblicherweise jedoch drei Litern Öl sowie ein Kilo Mehl für die Bindung. Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind: Für ihre paar Kartoffelpuffer schleppten sie vierzehn Kilo Lebensmittel nach Hause, und irgendetwas fehlt jetzt noch. Was könnte uns noch fehlen.
    Keine Antwort.
    Tja, sagte Clemens. Die Rezepte mussten sie auch noch alle im Kopf haben, die Armen. Was jetzt noch fehlt, das sind Eier und Salz. Er zeigte auf eines der Schubfächer, die unter den

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