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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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sagte, du steckst das jetzt ein, sonst bleibt am Ende gar nichts mehr von uns übrig.
    Auf jedem Briefumschlag hatte sie in ihrer schrägen Schreibschrift vermerkt, aus wessen Garten die Samen stammten, die Jahreszahl und die Gemüsesorte. Manchmal noch eine Bemerkung: Verträgt keine stehende Nässe. Möglichst im Windschatten pflanzen. Lange Keimdauer. Frostempfindlich.
    Das kannst du schlecht ablehnen, oder, sagte Pola, und Abramowski sagte, ein paar Briefumschläge mit ganz Klein-Camen darin, und von nun an zweigte er bei seinen Jobs im Grünbereich immer ein paar Handvoll Erde ab.
    Auf dem Dachboden wuchsen langsam die Mauern aus alten Angebotsprospekten vom Papiercontainer. Timon hatte aus dem Lager einen der Sackkarren geholt, auf denen er kürzlich Weinfässer in die Meile gefahren hatte, sie würden erst nach dem Okto­ber­fest wieder gebraucht.
    Wir sollten die Nächte ausnutzen, um an der Hütte zu bauen, sonst wird das nichts vor dem Winter, sagte Abramowski. Du brauchst dringend hier oben Strom.
    Und es wuchs die Liste der Dinge, die es im siebten Distrikt nicht gab.
    Eine Verlängerungsschnur wäre zum Beispiel nützlich, sagte Pola.
    Gibt’s nicht, sagte Abramowski. Der Strom kommt aus der Wand.
    Und die elektrischen Geräte, fragte Pola.
    Lass mich mal zählen, sagte Abramowski behutsam. Er machte seine rechte Hand zur Faust und streckte dann langsam den linken Daumen, dann den Zeigerfinger und zuletzt den Mittelfinger aus seiner Faust heraus: Da hätten wir die Konsole und die Mikrowelle. Macht bei mir zwei Stecker im Zimmer, plus einen dritten Anschluss im Bad.
    *
    Jule Tenbrock war in Oktoberfeststimmung. Die Meile sah toll aus. Nur zu Weihnachten und beim Frühlingsfest mochte sie die Deko noch lieber.
    Kurz vor der Eröffnung rief Clemens bei ihr an.
    Mit Tanzen wird es wohl diesmal nichts, sagte er.
    In letzter Zeit wird es mit so einigem nichts, dachte Jule kühl, aber sie sagte besser nichts, weil er es nicht mochte, wenn sie sich beklagte.
    Ich wollte dir nichts davon sagen, bevor es in trockenen Tüchern ist, sagte Clemens.
    Es klang ziemlich bedeutend und offiziell.
    Dann kam er damit heraus, dass er sich für »Grand­ma’s Cooking Corner« beworben und den Job bekommen hatte.
    Stell dir vor, Baby, sagte er und platzte beinah vor Stolz, weil die »Cooking Corner« auf jedem Fest der absolute Hit war und außerdem direkt der Stiftungszentrale unterstand.
    Ja dann natürlich, sagte Jule, gratuliere.
    Enttäuscht war sie trotzdem, aber sie hatte die Enttäuschung im Grunde erwartet, also fühlte sie sich lau und etwas leer an, und es tat gar nicht weh.
    Die stellen da nicht jeden beliebigen Seminarleiter an den Herd, sagte Clemens, weil er Jules Enttäuschung oder das Laue in ihrer Enttäuschung gehört hatte, und Jule fragte, und was steht dieses Mal auf der Karte.
    Kartoffelpuffer, sagte Clemens. Nach Art der Oma. Und anschließend Linsensuppe. Volles Programm.
    Jule dachte an die Steppabende, von denen Yvi immer schwärmte, und an den Aushang im Super-K, die Rock-’n’-Roll-Kurse in der City Hall. Wahrscheinlich wäre das die einzige Art, einmal zum Tanzen zu kommen. Mit Clemens jedenfalls nicht.
    Das Programm fand sie dann bis auf die langweiligen Schäffler in ihren Mittelalterkostümen ganz nett. Für jeden etwas, von Volksmusik über die üblichen Ohrwürmer bis zu den vorläufigen Favoriten für den »Wettbewerb der Kulturen«. Jost Lambek moderierte, er war natürlich derselbe Schnösel wie immer, aber Jule hatte das Gefühl, dass er nach seiner Entgleisung letztens doch eins auf die Mütze gekriegt haben musste, so betont nahm er sich jetzt zusammen. Yvis Gruppe war etwas besser in Form als bei der Show, weil sie nicht so aufgeregt war, aber die Rock ’n’ Roller waren um Klassen besser. Am Schluss kündigte Lambek als »unsere Ehrengäste und eine Zugabe, die wir mit kräftigem Applaus begrüßen wollen«, die Schäffler an, und als die endlich abgetreten waren, sagte er ins Publikum hinein: Und um es jetzt mit den alten Rammsteins zu sagen – Feuer frei! Disco für alle.
    Innerhalb kürzester Zeit tanzten so ungefähr alle. Jedenfalls kam es Jule so vor, als ob alle tanzten, weil sie am Rand herumstand und zugucken musste, und da kam es ihr natürlich so vor, als wäre sie der einzige Mensch, der niemanden

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