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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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keine Gedanken, hatte Mering gesagt, als er das Schreiben wieder zusammengefaltet hatte. Das klingt immer komplizierter, als es ist. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass wir die Rei­nigungstrupps zugewiesen bekommen, die Hausdienste wahrscheinlich auch, ansonsten bleibt alles beim Alten.
    Im Treppenhaus hörte Jule, dass Abramowski einen Film laufen hatte, was in letzter Zeit selten vorkam. Pathetische Musik, ein Riesenorchester, voll aufgedreht. Gleich knallt es, dachte Jule. Dann kam die Explosion; Jule kannte den Film vom Hören. Eine Explosion am Anfang und eine zum Schluss. Nach der zweiten war er zu Ende.
    Und dann sah sie, dass etwas vor ihrer Wohnungstür lag.
    Sie bückte sich und hob es auf.
    Jule Tenbrock hatte eine Schwäche für schöne Dinge, und dies hier war schöner als alles, was sie in den Vitrinen der Stiftung oder auf Kanal 7 jemals gesehen hatte.
    Es war ein weißer Teller mit einem feinen blauen Rand, der aus lauter winzigen Muscheln gebildet wurde. An vier Stellen lief die Muschelkette geometrisch in kleine Dreiecke aus. Der Teller war unerhört elegant und sehr edel, und als Jule ihn in der Hand hielt, wusste sie, dass dies hier keine Luminose war und ganz und gar nicht unzerbrechlich. Dies hier war äußerst zerbrechlich. Es war Porzellan. Sehr altes Porzellan, wie es im siebten Distrikt mit Sicherheit nicht erhältlich war, nicht für alle Punkte der Welt.
    Jule drehte den Teller vorsichtig um und sah auf der Unterseite einen Stempel mit einer grün­lichen Krone. Um die Krone herum entzifferte sie: Royal Copenhagen, darunter »Denmark«. Handpainted since 1775. Darunter drei blaue Wellen.
    *
    Die Wildschweine sind nicht das Problem, hatte Pola Timon gesagt, bevor sie durch den Zaun geklettert waren, Wildschweine gehen dir normalerweise aus dem Weg. Das Problem sind die streunenden Hunde. Die können wirklich gefährlich werden.
    Nein, nicht die Leptospirose, hatte sie dann gesagt, als sie seinen unruhigen Blick gesehen hatte. Bloß der Hunger.
    Abramowski hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde.
    Ein paar Tage lang war der Himmel bedeckt gewesen, aber dann kam eine wunderbare Vollmondnacht, in der sie es wagen konnten.
    Zsazsa fand die undichte Stelle im Zaun sofort.
    Pola war froh, dass Timon mitkommen wollte. Um keinen Preis der Welt hätte sie sich noch einmal ­allein durch den Wald getraut. Nicht dass sie unbedingt glaubte, der Mann mit der Ratte wäre gefährlich gewesen.
    Pola und Timon hatten ein paar Kostbarkeiten im Rucksack, die sie aus den Abfällen des Oktoberfests gerettet hatten, das Salz, das draußen immer knapp war, eine ganze Menge Mehl, eine Tüte mit Linsen, und Timon hatte eine Menge seiner Punkte ge­opfert, um Kaffeepulver zu besorgen. Bei Pola auf dem Dachboden im Distrikt lagerten die Kartoffeln und Äpfel, die Zwiebeln sowie die restlichen Linsen mitsamt ein paar Lauchstangen, den Karotten und dem Rauchfleisch. Die Mettwürste hingen an einer Wäscheleine.
    Wenn ich das sehe, fange ich an zu träumen, sagte Timon, wenn er hochkam und die Vorräte betrachtete.
    Ich weiß ja nicht, wovon du träumst, sagte Pola, aber Kochplatten gibt es da draußen in rauen Mengen. Damit kann keiner was anfangen.
    Es macht Spaß, zu Hause zu essen, sagte Timon.
    Jetzt waren sie auf der Leuna-Allee. Der Asphalt hatte unangenehm tiefe Risse, und überall wuchs das Unkraut. Man musste aufpassen, dass man nicht stolperte oder mit dem Fuß in irgendeiner Schlingpflanze hängen blieb.
    Zsazsa lief im Zickzack und schwanzwedelnd vor­ne her, sie schnupperte rechts und links die Stra­­ßenränder entlang, und Pola erklärte Timon mit­­ hilfe des Himmels den Weg, den sie vor sich hatten. Im Mondlicht glänzten die zerfallenen Gebäude fahl und silbrig vor sich hin, als wären sie romantische Ruinen.
    Sieht irgendwie gespenstisch aus, sagte Timon. Aber auch sehr schön.
    Und du bist die Herrin der toten Stadt.
    Wohl kaum, sagte Pola.
    Während sie weitergingen, erzählte Timon, dass das der deutsche Titel eines uralten Films sei, den er in Hainegg manchmal in seinem Kino vorgeführt habe. Eigentlich hieß der Film »Yellow Sky«, sagte er, »Herrin der toten Stadt« fand ich dämlich, aber hier und jetzt passt er.
    Toller Film, erzählte er, allein schon der Anfang. Einfach gekonnt. William Wellman.
    Auf der einen Seite ist das Gebirge, sagte

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