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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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einem hellgrauen Blazer und einen engen Rock aus demselben Stoff. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt.
    Er schlug vor, mit dem Taxi zum Friedhof zu fahren, doch sie wollte lieber den Bus nehmen. »Ich möchte einmal den Tag wie ein gewöhnlicher Chinese verbringen.«
    Das würde ihr wohl kaum gelingen, dachte er bei sich, und der Gedanke, sich mit ihr in den überfüllten Bus zu drängeln, behagte ihm gar nicht. Zum Glück entdeckten sie ein paar Straßen vom Hotel entfernt einen Bus mit der Aufschrift FRIEDHOFEXPRESS. Das Fahrgeld war zwar doppelt so hoch, aber sie konnten ungehindert einsteigen. Der Bus war weniger von Fahrgästen, als von ihrem Gepäck gefüllt – Weidenkörbe mit fertigen Gerichten, Plastiktüten mit Instantnudeln, Bambustaschen, in denen vermutlich »Totengeld« steckte, und brüchige Pappkartons, die, nur noch von Kordeln zusammengehalten, ihren Inhalt zu verstreuen drohten. Sie zwängten sich auf den Sitz gleich hinter dem Fahrer, wo kaum Platz für die Beine war. Catherine reichte dem Fahrer eine Schachtel Zigaretten – ein Souvenir, wie es »Staatsgäste« im Hotel Peace erhielten. Der Fahrer grinste ihr über die Schulter zu.
    Trotz der geöffneten Fenster war die Luft stickig, und die Sitze aus Lederimitat fühlten sich unangenehm heiß an. Gerüche von menschlichem Schweiß, Salzfisch, in Wein eingelegtem Fleisch und anderen Opfergaben erfüllten den Bus. Dennoch schien Catherine bester Laune zu sein; sie plauderte mit einer Frau mittleren Alters jenseits des Gangs und inspizierte die Opfergaben der Mitreisenden mit unverhohlenem Interesse. Zum lebhaften Stimmengewirr der Fahrgäste plärrte ein unsichtbarer Lautsprecher. Die Sängerin, ein Star aus Hongkong, trällerte in den höchsten Tönen. Chen erkannte das Lied, es war ein ci -Gedicht von Su Dongpo. Ursprünglich war es eine Totenklage für seine Frau, der Text konnte aber auch allgemeiner aufgefaßt werden. Warum hatte der Busfahrer gerade dieses ci für die Fahrt ausgesucht? Die Marktwirtschaft drang in alle Lebensbereiche vor; selbst Poesie wurde zur Ware.
    Oberinspektor Chen glaubte zwar nicht an ein Leben nach dem Tod, doch unter dem Einfluß der Musik wünschte er fast, daß es eines gäbe. Würde ihn sein Vater nach all den Jahren überhaupt erkennen, fragte er sich.
    Da kam auch schon der Friedhof in Sicht. Einige alte Frauen kamen vom Fuß des Hügels auf sie zu. Sie hatten sich weiße Handtücher um den Kopf geschlungen und waren ansonsten in groben schwarzen Stoff gekleidet, schwärzer noch als die Raben in der Ferne. Dieselbe Szene hatte ihn bei seinem letzten Besuch erwartet.
    Er faßte Catherines Hand. »Gehen wir, schnell.«
    Das allerdings war nicht so einfach für sie. Das Grab seines Vaters lag etwa auf halber Höhe des Hügels. Die Pfade waren von Unkraut überwuchert, die Aufschriften auf den Wegweisern verblichen. Manche der Stufen waren reparaturbedürftig. Er mußte seinen Schritt verlangsamen, um ihr den Weg durch herabhängende Kiefernzweige und Dornengestrüpp zu bahnen. Mehrmals wäre sie fast gestrauchelt.
    »Warum sind manche Schriftzeichen auf den Grabsteinen rot und die anderen schwarz?« fragte sie, während sie sich vorsichtig zwischen den Steinen entlangtastete.
    »Die Namen in Schwarz bezeichnen bereits Gestorbene, jene in Rot sind noch am Leben.«
    »Bringt das den Lebenden nicht Unglück?«
    »In China werden Mann und Frau unter demselben Grabstein beerdigt. Nach dem Tod des Partners läßt der Überlebende den Grabstein errichten und beide Namen eingravieren – einen in Schwarz, einen in Rot. Wenn dann auch der andere Ehepartner verstirbt, lassen die Kinder dessen Sarg oder Urne dort bestatten und die Schriftzeichen in schwarzer Farbe nachziehen.«
    »Das muß ein sehr alter Brauch sein.«
    »Und einer, der langsam ausstirbt. Die Familienstrukturen sind heutzutage nicht mehr so stabil. Man läßt sich scheiden oder heiratet ein zweites Mal. Nur wenige alte Leute folgen noch dieser Tradition.«
    Ihre Unterhaltung wurde von den schwarzgewandeten Alten unterbrochen, die sie inzwischen eingeholt hatten. Sie mußten siebzig und älter sein, humpelten aber auf ihren gebundenen Füßen stetig voran. Es war beeindruckend, mit welcher Sicherheit sich die Alten auf den beschwerlichen Bergpfaden bewegten. Sie hatten Kerzen, Weihrauch, Totengeld, Blumen und Gartengeräte dabei.
    Eine kam auf ihren Lilienfüßen auf sie zugewankt und bot ihnen ein »Geisterhaus« aus Papier an. »Mögen Ihre Vorfahren Sie

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