Die Frau mit dem roten Herzen
beschützen.«
»Was für eine schöne amerikanische Frau!« rief eine andere. »Ihre Vorfahren werden von einem Ohr zum anderen grinsen, wenn sie die sehen.«
»Ihre Vorfahren mögen Sie segnen!« psalmodierte eine Dritte. »Ihnen beiden ist eine glückliche Zukunft beschieden.«
»Sie werden im Ausland tonnenweise Geld machen!« prophezeite die vierte.
»Nein«, entgegnete er dem Chor im Suzhou-Dialekt, den Catherine glücklicherweise nicht verstand.
»Was sagen sie?« erkundigte sie sich.
»Sie wünschen uns alles erdenkliche Glück, damit wir ihnen ihre Opfergaben abkaufen.« Er kaufte einen Strauß Blumen von einer der Alten. Sie wirkten nicht gerade frisch. Vermutlich stammten sie von einem anderen Grab, aber er sagte nichts. Catherine kaufte ein Bündel Räucherstäbchen.
Als sie das Grab seines Vaters endlich fanden, eilten die alten Frauen herbei und säuberten es mit Besen und Staubwedeln. Eine von ihnen zog zwei kleine Farbdosen und einen winzigen Pinsel hervor und begann, die Schriftzeichen mit schwarzer und roter Farbe nachzuziehen. Für diese Dienstleistung mußte er bezahlen. Er tat es hauptsächlich wegen Catherine. Die alten Frauen nahmen offenbar an, er als Ehemann einer Amerikanerin müsse unermeßlich reich sein.
Er wischte Reste von Staub von dem Grabstein, während sie ein paar Aufnahmen mit ihrer Kamera machte. Das war eine gute Idee. Die Bilder würde er seiner Mutter zeigen können. Nachdem sie die Räucherstäbchen in den Boden gesteckt und angezündet hatte, stellte sie sich neben ihn und preßte, seinem Vorbild folgend, die Handflächen vor der Brust zusammen.
Was würde der verstorbene Professor und Anhänger des Neokonfuzianismus bei diesem Anblick sagen? Sein Sohn, ein chinesischer Polizeibeamter, in Begleitung einer amerikanischen Polizistin.
Er schloß die Augen und suchte einen Augenblick stiller Verständigung mit dem Verstorbenen. Er hatte den alten Mann zutiefst enttäuscht, zumindest in einer Hinsicht. Die Fortführung des Familienstammbaums war eines der dringlichsten Anliegen seines Vaters gewesen. Nun stand er noch immer als Junggeselle hier am Grab, und die einzige Rechtfertigung, die Oberinspektor Chen für sich in Anspruch nehmen konnte, war die, daß im Konfuzianismus der Dienst gegenüber dem Vaterland Vorrang vor allem anderen hatte.
Doch die stille Meditation, auf die er gehofft hatte, wurde bald wieder vom Chor der Alten unterbrochen. Zu allem Übel fiel auch noch ein Schwarm surrender Moskitos über sie her, riesige schwarze Insekten, deren blutrünstiger Überfall von den Segenswünschen der Weißhaarigen begleitet wurde.
In kürzester Zeit hatte er einige juckende Stiche abbekommen und bemerkte, daß auch Catherine sich am Hals kratzte.
Sie holte ein kleines Fläschchen aus ihrer Handtasche und besprühte seine Arme und Hände, dann rieb sie auch seinen Hals ein. Doch das Insektenabwehrspray, offenbar ein amerikanisches Produkt, machte kaum Eindruck auf die Suzhouer Moskitos. Bedrohlich summend verharrten sie in der Nähe.
Mittlerweile hasteten weitere alte Frauen in ihre Richtung.
Es war Zeit zu verschwinden, dachte er. »Wir gehen jetzt besser.«
»Warum so eilig?«
»Mit der Ruhe ist es vorbei. Ich glaube nicht, daß mir hier noch ein besinnlicher Augenblick gegönnt ist.«
Als sie den Fuß des Hügels erreichten, stellte sich das nächste Problem. Laut Fahrplan mußten sie eine Stunde auf den Bus warten.
»Es gibt Haltestellen einer anderen Buslinie an der Straße nach Mudu, aber bis dahin sind es mindestens zwanzig Minuten zu Fuß.«
Ein Lastwagen hielt neben ihnen am Straßenrand. »Wollen Sie mitfahren?«
»Gern. Fahren Sie nach Mudu?«
»Ja. Zwanzig Yuan für beide«, sagte der Fahrer. »Aber nur einer kann vorne in der Kabine sitzen.«
»Steigen Sie ein, Catherine«, sagte er. »Ich gehe nach hinten.«
»Nein, wir sitzen beide hinten.«
Er stieg auf den Reifen, schwang sich auf die Ladefläche und half ihr hinauf. Dort lagen mehrere gebrauchte Kartons. Er drehte einen um und bot ihn ihr als Sitz an.
»Das ist das erste Mal, daß ich auf einem Laster mitfahre«, sagte sie fröhlich und streckte die Beine aus. »Als Kind habe ich mir immer gewünscht, einmal auf der Ladefläche fahren zu dürfen, aber meine Eltern haben es nicht erlaubt.«
Sie streifte die Schuhe ab und massierte ihren Knöchel.
»Tut er noch weh? Das tut mir wirklich leid, Inspektor Rohn.«
»Nicht schon wieder eine Entschuldigung! Warum auch?«
»Die Moskitos,
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