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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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obwohl Chen das Gespräch immer wieder zu beleben suchte. Nur einmal wanderte ihr Blick zu der Uhr an der Wand, und sie sahen, daß ihre Augen voller Tränen standen.
    Dann wurde die Stille von eiligen Schritten draußen unterbrochen; ein Schlüssel drehte sich im Schloß, Wen schluchzte auf.
    Ein Mann Anfang Vierzig trat ein. Er war dunkelhaarig, schlank und wirkte sehr ernst. Er hatte die Ausstrahlung eines Wohlhabenden, was durch seinen teuren Anzug noch unterstrichen wurde. Das einzige, was nicht ins Bild paßte, war ein riesiger lebender Karpfen, der an seiner Hand baumelte. Er war gute sechzig Zentimeter lang und hing zuckend an einem Draht, der durch Kieme und Maul gezogen war. Sein Schwanz berührte fast den Teppich.
    »Was geht hier vor?« fragte er.
    Wen stand auf, nahm ihm den Karpfen ab und brachte ihn in die Küche, bevor sie an seine Seite zurückkehrte. »Sie wollen, daß ich in die Vereinigten Staaten ausreise. Die amerikanische Beamtin besteht darauf, daß ich mit ihr gehe.«
    »Dann sind Sie also Herr Liu Qing?« Catherine reichte ihm ihre Karte. »Ich bin Catherine Rohn, Inspektor des U.S. Marshals Service. Und das hier ist Oberinspektor Chen Cao von der Shanghaier Polizei.«
    »Warum sollte sie mit Ihnen gehen?« fragte Liu barsch.
    »Weil sich ihr Ehemann dort aufhält«, sagte Chen. »Auf seinen Wunsch hin ist Inspektor Rohn hergekommen, um Wen zu ihm zu bringen. Sie wird in das dortige Zeugenschutzprogramm aufgenommen, das ihr Sicherheit gewährt. Sie sollten sie überreden, daß sie mitgeht.«
    »Zeugenschutzprogramm?«
    »Ja. vielleicht ist ihr nicht klar, wie ein solches Programm aussieht«, erklärte Chen. »Es ist dazu da, Wen und ihre Familie zu schützen.«
    Liu reagierte nicht sofort. Statt dessen wandte er sich an Wen, die schweigend seinem Blick begegnete. Liu nickte, als hätte er in ihren Augen eine Antwort gelesen.
    »Genossin Wen Liping ist mein Gast. Es liegt an ihr, zu entscheiden, ob sie gehen oder bleiben will«, sagte Liu. »Niemand kann sie zwingen, irgendwo hinzugehen. Nicht mehr.«
    »Sie müssen sie gehen lassen, Herr Liu«, sagte Catherine. »Ihr Ehemann ist mit einem Ersuchen an die US-Regierung herangetreten. Die chinesische Regierung hat ihre Kooperation zugesichert.«
    »Ich halte sie ja nicht zurück. Keineswegs«, entgegnete Liu. »Fragen Sie sie doch selbst.«
    »Nein, niemand hält mich hier«, sagte Wen. »Ich bleibe aus freiem Willen.«
    »Haben Sie das gehört, Inspektor Rohn?« sagte Liu. »Wenn ihr Ehemann das Gesetz gebrochen hat, so sollte er dafür bestraft werden. Dagegen hat niemand etwas einzuwenden. Aber wie kann die Regierung der Vereinigten Staaten sich anmaßen, gegen den Willen einer chinesischen Bürgerin in deren Schicksal einzugreifen?«
    Catherine war auf derartige Feindseligkeit von Liu nicht gefaßt. »Sie kann in den USA ein neues Leben beginnen. Ein besseres Leben.«
    »Glauben Sie bloß nicht, daß jeder Chinese in Ihr Land gekrochen kommt«, versetzte Liu.
    »Ich muß die chinesischen Behörden von Ihrem Verhalten in Kenntnis setzen. Sie behindern die Ordnungskräfte«, sagte Catherine.
    »Ihr Amerikaner redet doch immerzu von Menschenrechten. Hat sie denn nicht das Recht, sich aufzuhalten, wo sie möchte? Die Zeiten, in denen man Chinesen herumkommandieren konnte, sind ein für allemal vorbei. Hier haben Sie die Nummer meines Rechtsanwalts.« Liu erhob sich, reichte ihr eine Karte und deutete auf die Tür. »Und jetzt gehen Sie bitte, alle beide.«
    »Oberinspektor Chen, Ihre Regierung hat uns volle Unterstützung zugesichert.« Catherine stand jetzt ebenfalls auf. »Hier muß die örtliche Polizeidienststelle eingreifen.«
    »Nun mal langsam«, sagte Chen, zu Liu gewandt. »Inspektor Rohn hat ihren Standpunkt, und Sie haben den Ihren. Das sei jedem zugestanden. Können wir unter vier Augen miteinander reden?«
    »Ich wüßte nicht, worüber, Oberinspektor Chen.« Liu überlegte einen Moment. »Wie haben Sie sie  überhaupt gefunden?«
    »Durch Ihr Gedicht ›Berührung der Fingerspitzen‹. Ich bin ebenfalls Mitglied des Schriftstellerverbandes.«
    »Dann sind Sie also der Chen Cao«, sagte Liu. »Ihr Name kam mir bekannt vor, aber das ändert nichts an den Tatsachen.«
    »Haben Sie von dem Fall Wu Xiaoming gehört?« fragte Chen.
    »Ja, das war letztes Jahr in allen Zeitungen. Dieser widerliche Prinzling.«
    »Ich war mit den Ermittlungen betraut. Ich hatte mir geschworen, daß er seine Strafe bekommen sollte. Und ich habe Wort

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