Die Frau mit dem roten Herzen
Tuch ab und streichelte über sein unrasiertes Kinn. »Warum hat Chen sich nicht nach Peking versetzen lassen?«
»Er kann furchtbar stur sein. Du weißt ja, wie allergisch er gegen Privilegien ist.«
»Ich will ja nichts sagen über deinen Chef, aber diese Verbindungen nach oben und alles, was damit zusammenhängt – das wäre nichts gewesen für ihn«, sagte sie sanft. »Glaubst du, daß Inspektor Rohn ihn mag? Es wäre an der Zeit, daß er sich entscheidet.«
»Also wirklich, Peiqin. Eine Amerikanerin? Wir sind doch nicht in einem Hollywood-Film. Ein schnelles Abenteuer in China. Nein, Oberinspektor Chen kann sich für jede entscheiden, aber nicht für sie.«
»Man weiß nie, Guangming. Aber was soll es heute abend geben?«
»Ganz normale Hausmannskost«, sagte Yu. »Chen sagt, Inspektor Rohn ist begeistert von allem Chinesischen. Wie wär’s mit jiaozi ?«
»Gute Idee. Zur Zeit gibt es frischen Frühlingsbambus. Wir können drei verschiedene Füllungen machen: mit frischen Bambusschößlingen, mit Fleisch und mit Krabben. Einen Teil der Teigtäschchen kann ich braten, die anderen werden gedämpft, und der Rest wird in Entenbouillon mit schwarzen Holzohr-Pilzen serviert. Ich werde einfach früher Schluß machen und noch ein paar Kleinigkeiten aus dem Restaurant mitbringen. Unser Zimmer ist zwar kaum größer als ein getrockneter Tofu, aber vor einem amerikanischen Gast dürfen wir nicht das Gesicht verlieren.«
Yu streckte sich. »Ich muß heute nicht ins Präsidium«, sagte er. »Laß mich auf den Markt gehen und einen Korb frische Bambusschößlinge besorgen.«
»Nimm aber nur die zarten. Sie dürfen nicht dicker sein als zwei Finger. Und das Fleisch hacken wir besser selber; das fertige Schweinehack ist nie ganz frisch. Wann werden sie denn hiersein?«
»Gegen halb fünf.«
»Dann fangen wir jetzt lieber an. Ich muß den Teig für die jiaozi machen.«
Chen und Catherine kamen eine gute Stunde früher als verabredet. Chen trug einen grauen Anzug. Catherine wirkte in ihrem roten, seitlich hochgeschlitzten qipao wie eine Schauspielerin aus einem Shanghai-Streifen der dreißiger Jahre. Chen hatte eine Weinflasche dabei, Catherine eine große Plastiktüte.
»Endlich haben Sie mal eine Frau mitgebracht, Oberinspektor Chen«, begrüßte ihn Peiqin lächelnd.
»Endlich«, wiederholte Catherine und hakte sich mit gespielter Ernsthaftigkeit bei ihm unter.
Peiqin war über Catherines Reaktion erleichtert, denn sie hatte sofort bereut, daß ihr diese Bemerkung herausgerutscht war. Catherine schien jedoch nicht im geringsten irritiert.
»Das ist Inspektor Rohn vom U.S. Marshals Service«, stellte Chen sie förmlich vor. »Sie ist sehr an chinesischer Kultur interessiert. Seit ihrer Ankunft wünscht sie sich, eine Shanghaier Familie zu besuchen.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Inspektor Rohn.« Peiqin wischte die mehlbestäubte Hand an der Schürze ab, bevor sie sie Catherine reichte.
»Wie schön, Sie zu treffen, Peiqin. Oberinspektor Chen hat mehrfach von Ihren hervorragenden Kochkünsten gesprochen.«
»Die Übertreibung eines Dichters«, erwiderte Peiqin.
Yu war um einen förmlicheren Ton bemüht und brachte die für den Gastgeber üblichen Floskeln vor. »Ich muß mich für die Unordnung hier entschuldigen. Darf ich Ihnen unseren Sohn vorstellen? Er heißt Qinqin.«
Das Zimmer bot gerade Raum genug für einen Tisch, und die frühe Ankunft der Gäste brachte die Gastgeber in eine peinliche Lage. Die Tischplatte war noch mit jiaozi- Teig , Hackfleisch und Gemüseresten übersät. Man hätte nicht mal eine Teeschale dort abstellen können. Catherine mußte ihre Tüte auf das Bett legen.
»Der Oberinspektor ist so beschäftigt. Er muß später noch mal ins Präsidium zurück«, erklärte Catherine und holte dabei mehrere Schachteln aus der Tüte. »Das hier sind nur ein paar Kleinigkeiten, die ich im Hotel besorgt habe. Ich hoffe, Sie können sie gebrauchen.«
In der einen war ein Mixer, in der anderen eine Kaffeemaschine.
»Das ist ja großartig, Inspektor Rohn«, rief Peiqin begeistert. »Wie aufmerksam von Ihnen. Jetzt können wir Oberinspektor Chen bei seinem nächsten Besuch echten Bohnenkaffee anbieten.«
»Man kann damit auch heißes Wasser für den Tee machen«, sagte Chen. »Und den Mixer können wir gleich einweihen, indem wir Fleisch und Gemüse für die Füllung zerkleinern.«
»Und die Bambusschößlinge«, warf Yu stolz ein, während er die Maschine zusammensetzte.
»Ich
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