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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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unterhalten.«
    »Aber nur, wenn ich Sie noch einmal zu Fujian-Nudeln einladen darf, bevor Sie abreisen.«
    Yu hob die Papierabdeckung von einer großen Schale mit Bratreis, frisch und farbenfroh, mit Rührei und Schweinefleischstreifen. Dazu gab es zwei Vorspeisen; gesalzene Erdnüsse und Tofu mit Sesamöl und Frühlingszwiebeln. Dann stieg ihm der Duft von Alkohol in die Nase und er lüftete den Deckel einer großen Terrine.
    »Krebse in Reiswein«, sagte Pan.
    Auf dem Tablett lag nur ein Paar Plastikstäbchen. Zum Glück hatte Peiqin ihm Einweg-Stäbchen für die Reise eingepackt, so daß er Pan ein Paar anbieten konnte.
    Pan griff mit den Fingern nach einem losgelösten Krebsbein.
    »Ich liebe Krebse«, sagte Yu schulterzuckend, »aber ich esse sie nicht roh.«
    »Keine Sorge. Man muß sie nur in den starken Alkohol tauchen, dann kann nichts passieren.«
    »Leider vertrage ich das ungekochte Fleisch nicht.« Das stimmte nicht ganz. In seiner Kindheit waren eine Schale Reisbrei und gesalzene Krebse sein liebstes Frühstück gewesen. Aber Peiqin hatte ihm abgewöhnt, rohe Meeresfrüchte zu essen. Das war wohl der Preis, den man für eine tugendhafte Ehefrau zu zahlen hatte. »Die sind alle für Sie, Direktor Pan«, bot Yu ihm nicht ohne Bedauern an.
    Der Reis schmeckte gut, das Schweinefleisch hatte genau die richtige Konsistenz, und die Vorspeisen waren auch nicht schlecht. Am Ende vermißte Yu die Krebse gar nicht. Sie unterhielten sich weiter über Wen.
    »Wen hatte nicht einmal ein Bankkonto«, berichtete Pan. »Ihr Lohn wurde immer gleich von Feng einkassiert. Ich habe ihr vorgeschlagen, das Geld in der Fabrik zu hinterlegen, und das tat sie dann auch.«
    »Hat sie es abgeholt, bevor sie verschwand?«
    »Nein. Ich war zwar an jenem Tag nicht in der Fabrik, aber sie hat nichts geholt«, sagte Pan und verspeiste mit Genuß den goldfarbenen Verdauungstrakt eines Krebses. »Sie muß sich spontan dazu entschlossen haben.«
    »Hat Wen während all der Jahre nie Besuch bekommen?«
    »Nein, ich glaube nicht. Feng war wahnsinnig eifersüchtig. Er hätte keine Besucher geduldet.« Pan zog die Eingeweide des Krebses heraus und arrangierte sie in seiner Handfläche, daß sie wie ein kleiner alter Mönch aussahen. »Sie wissen schon, der Böse.«
    »Ja, ich weiß. Der aufmüpfige Mönch aus der Legende von der Weißen Schlange, der sich im Sandbeutel eines Krebses verstecken mußte, weil er …« Yu konnte seinen Satz nicht beenden, denn Pan stieß ein leises Stöhnen aus.
    Dann beugte er sich vornüber und preßte sich die Handflächen gegen den Magen. »Verdammt. Das fühlt sich an wie Messerstiche.« Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, und sein Gesicht nahm eine graue Färbung an. Er stöhnte jetzt lauter.
    »Ich werde einen Krankenwagen rufen«, sagte Yu und sprang auf.
    »Nein, besser den Laster von der Fabrik«, stieß Pan hervor.
    Der Laster war vor dem Hotel geparkt. Yu und der Hausmeister des Hotels trugen Pan unverzüglich zum Wagen. Das Kreiskrankenhaus lag etliche Kilometer entfernt, und der Hausmeister fuhr mit, um Yu den Weg zu zeigen. Bevor er den Motor anließ, rannte Yu noch einmal ins Hotel zurück und holte die Terrine mit den schnapsgetränkten Krebsen.
     
    Drei Stunden später konnte Yu ins Hotel zurückkehren, allerdings allein.
    Pan mußte im Krankenhaus bleiben, war aber außer Lebensgefahr. Die Diagnose des Arztes lautete Lebensmittelvergiftung.
    »Eine Stunde später hätten wir nichts mehr für ihn tun können«, hatte er gesagt.
    Die Untersuchungsergebnisse der Krebsterrine waren höchst verdächtig. Die Krebse enthielten Bakterien, und zwar in Mengen, die den zulässigen Wert um ein Vielfaches überschritten. Sie mußten seit Tagen tot gewesen sein.
    »Seltsam«, sagte die Krankenschwester, »die Leute hier essen nie tote Krebse.«
    Es war mehr als seltsam, dachte Yu bei sich, während er die Landstraße entlangging. Hinter ihm im Wald schrie eine Eule. Er spuckte mehrmals auf den Boden, eine Methode, um böse Geister zu vertreiben.
    Im Hotel begab er sich als erstes in die Küche.
    »Nein, wir haben Ihnen kein Essen aufs Zimmer geschickt«, beteuerte der Koch nervös. »Solchen Zimmerservice gibt es bei uns nicht.«
    Yu konsultierte den Hotelprospekt; Zimmerservice wurde dort nirgends erwähnt. Der Koch vermutete, das Gericht könne aus dem nahe gelegenen Dorfrestaurant geschickt worden sein.
    »Nein, eine solche Bestellung ist bei uns nicht eingegangen«, erklärte der

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