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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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zwar nicht nur für die CIA.
    »Die Bibliothek liegt auch an der Nanjing Lu. Mit dem Taxi sind das knapp fünf Minuten.«
    »Wenn es so nah ist, gehe ich lieber zu Fuß.«
    »Wie Sie möchten. Ich werde Sie um zwölf Uhr in dem Restaurant gegenüber der Bibliothek erwarten. Zur grünen Weide, so heißt das Lokal.«
    »Also bis dann.«
    Nach einer kurzen Dusche verließ sie das Hotel und schlenderte die Nanjing Lu entlang. Diese Straße glich einem Einkaufszentrum, sie war nicht nur beiderseits von Läden gesäumt, sondern auch von fliegenden Händlern belagert, die ihre Waren vor den Schaufenstern feilboten. Sie überquerte mehrfach die Straße, um das interessante Angebot zu studieren. Seit ihrer Ankunft hatte sie noch keine Gelegenheit für Einkäufe gehabt.
    An der Kreuzung Zhejiang Lu mußte sie der Versuchung widerstehen, in das Restaurant mit den scharlachroten, geschnitzten Säulen und den gelb glasierten Schmuckziegeln abzubiegen – alles Zitate chinesischer Palastarchitektur. Eine Bedienung im traditionellen qipao verbeugte sich einladend vor den Passanten, doch Catherine kaufte sich statt dessen bei einem Straßenhändler ein Stück klebrigen Reiskuchen, den sie wie die Shanghaierinnen im Gehen aß. Inzwischen war es üblich geworden, von den Chinesen als den geborenen Kapitalisten zu sprechen, einem Volk von Händlern, und so auch den jüngsten Wirtschaftsaufschwung zu erklären. Catherine jedoch schrieb ihn eher der kollektiven Energie zu, die nach Jahren des staatlichen Dirigismus freigesetzt worden war. Endlich hatte man Gelegenheit, etwas für sich selbst zu schaffen; so erklärte sie sich die Veränderungen, die sie um sich herum beobachtete.
    Sie zog in dieser Stadt kaum mehr neugierige Blicke auf sich als in St. Louis. Auch stieß ihr, abgesehen von unsanftem Schulter- und Ellenbogenkontakt, nichts zu, während sie sich an einem gutbesuchten Kaufhaus vorbeidrängte. Die Unfälle der vergangenen beiden Tage hatten sie beunruhigt, aber vielleicht war sie infolge der Zeitverschiebung auch bloß ungeschickt gewesen. Heute fühlte sie sich zum ersten Mal richtig ausgeruht. Bald kam die Bibliothek in Sicht. Dem Bettler auf der Treppe gab sie ein paar Münzen, wie sie es auch in St. Louis getan hätte.
    Kaum hatte sie das Bibliotheksgebäude betreten, bot eine englischsprechende Bibliothekarin ihre Hilfe an. Catherine interessierte sich für zwei Themen: die Fliegenden Äxte und Chen. Zu ihrer Überraschung gab es fast keine Literatur über Triaden. Vielleicht war es im heutigen China verboten, über solch kriminelle Aktivitäten zu publizieren.
    Dafür fand sie mehrere Zeitschriften mit Chens Gedichten und Übersetzungen, dazu einige Krimis, die von ihm übersetzt worden waren. Manche davon hatte sie auf englisch gelesen. Neu für sie waren die stereotypen Einleitungen des Übersetzers, die jedem Roman vorangingen. Sie enthielten Informationen über den Autor und eine kurze Analyse der Handlung, die in den unvermeidlichen Politfloskeln endete: Aufgrund des ideologischen Hintergrunds des Autors sind die dekadenten Werte der westlichen kapitalistischen Gesellschaft in diesen Text eingeflossen. Der chinesische Leser sollte sich solch negativer Einflüsse bei der Lektüre stets bewußt sein …
    Absurd und zugleich heuchlerisch, befand Catherine; aber vielleicht hatte diese Heuchelei Chen zu seinem schnellen Aufstieg verholfen.
    Die Bibliothekarin kam mit einer neuen Zeitschrift in den Lesesaal: »Hier habe ich noch ein aktuelles Interview mit Chen Cao.«
    Der Artikel enthielt ein Farbfoto von Chen im schwarzen Anzug und mit konservativer Krawatte, die ihm das Aussehen eines Akademikers gaben. In dem Interview behauptete Chen, Lyrik solle geschrieben werden, ohne daß man sich dabei unbedingt als Dichter fühlen müsse, und er führte T. S. Eliot als Beispiel an. Er erwähnte auch Louis MacNeice, der neben seiner dichterischen Arbeit einem Brotberuf nachging. Dann erklärte Chen, wie sehr diese beiden seine eigenen Texte beeinflußt hätten, und nannte dabei vor allem den Titel eines von Melancholie durchdrungenen Gedichts. Sie fand das erwähnte »Sonnenlicht über dem Garten«, las es und machte sich Notizen. Zwar ging es der CIA um Politik, aber der Artikel konnte ihr ihren chinesischen Partner als Mensch begreifbarer machen. Chen benutzte die Biographien von Eliot und MacNeice als Rechtfertigung für seine eigene Laufbahn. Schließlich gab sie der Bibliothekarin die Zeitschriften zurück.
    Als sie aus

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