Die Frau mit dem roten Herzen
Goldfisch sprang heraus, /irr tanzend auf dem Trockenen. / Wortlos, erleuchteten ihn /die Fähigkeit des Mädchens / Eifersucht zu spüren und / die unverbesserlich vielfältigen Entsprechungen dieser Welt. /Es war ein anderer gewesen, längst schon tot, / der gesagt hat: ›Die Grenzen seiner Dichtung / sind die Grenzen seiner Möglichkeiten.‹ «
»Schon zu Ende?« Sie starrte ihn über den Rand ihres Weinglases an.
»Nein, es gibt noch eine weitere Strophe, aber die kann ich nicht mehr ganz auswendig. Sie erzählt, daß später die Kritiker zu jener Eingeborenen pilgerten, die inzwischen über sechzig war. Aber sie konnte sich an nichts anderes erinnern als an Daifu, wenn er mit ihr schlief.«
»Das ist so traurig«, sagte sie und schlang ihre schlanken Finger um den Stiel des Glases. »Und so unfair ihr gegenüber.«
»Unfair aus der Sicht einer feministischen Kritikerin?«
»Nein, nicht nur das. Es ist einfach zu zynisch. Das heißt nicht, daß ich Ihr Gedicht nicht mag. Ich mag es sogar sehr.« Nach einem kleinen Schluck fuhr sie fort. »Aber ich möchte Sie etwas anderes fragen. In welcher Stimmung waren Sie, als Sie dieses Gedicht schrieben?«
»Das weiß ich nicht mehr. Ist schon so lange her.«
»Ich wette, Sie waren schlecht drauf damals. Die Dinge liefen nicht, wie Sie wollten. Botschaften kamen nicht an. Illusionen zerplatzten. Und darüber wurden Sie zum Zyniker.« Sie hielt inne und sagte dann: »Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Nein, nein, das ist schon in Ordnung«, sagte er einigermaßen verblüfft. »Im Grunde haben Sie recht. Will man unserem Tang-Dichter Du Fu glauben, dann sind glückliche Menschen keine guten Poeten. Wer mit seinem Leben zufrieden ist, möchte es einfach nur genießen.«
»Zynismus kann eine Maske für die persönliche Enttäuschung des Dichters sein. Dieses Gedicht zeigt Sie von einer völlig neuen Seite.«
»Tja …« Darauf wußte er nichts zu erwidern. »Sie haben ein Recht auf Ihre eigene Lesart, Inspektor Rohn. Aber im Dekonstruktivismus kann jede Lesart auch eine Fehldeutung sein.«
Ihr Gespräch wurde von einem Anruf seines Assistenten Qian unterbrochen.
»Wo sind Sie, Oberinspektor Chen?«
»Im Moscow Suburb«, sagte Chen. »Parteisekretär Li wünscht, daß ich unseren amerikanischen Gast unterhalte. Und was haben Sie zu berichten?«
»Nichts Besonderes. Ich bin heute im Büro. Hauptwachtmeister Yu könnte sich melden, und ich rufe weiterhin Hotels und Pensionen an. Sollten Sie mich brauchen, dann können Sie mich hier jederzeit erreichen.«
»Sie legen also auch eine Sonntagsschicht ein. Wird Ihnen guttun, Qian. Auf Wiedersehen.«
Chen war leicht irritiert. Wollte Qian ihm nach dem Zwischenfall in Qingpu demonstrieren, wie hart er arbeitete? Aber wozu mußte er so genau wissen, wo Chen gerade war? Vielleicht hätte er seinen Aufenthaltsort nicht preisgeben sollen.
Anna kam mit dem Dessertwagen.
»Danke«, sagte Chen. »Vielleicht können Sie ihn hier stehenlassen. Wir suchen uns dann selber etwas aus.«
»Noch eine linguistische Frage«, sagte Catherine, die sich für die Schokoladencreme entschieden hatte.
»Ich höre?«
»Wieso nennt Lu Anna und die anderen Bedienungen seine kleinen Schwestern?«
»Weil sie jünger sind als er. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Früher haben wir die Russen als unsere ›großen Brüder‹ bezeichnet, weil wir sie für weiter fortgeschritten hielten, während wir selbst uns erst im Anfangsstadium des Kommunismus befanden. Inzwischen gilt Rußland im Vergleich zu China als arm. Junge russische Frauen kommen hierher, um in Restaurants oder Nachtclubs zu arbeiten, so wie die Chinesen in den Vereinigten Staaten. Darauf ist Lu stolz.«
Sie senkte ihren Löffel in die Mousse. »Ich muß Sie um einen Gefallen bitten – als die amerikanische Freundin, für die Lu mich hält.«
»Was immer ich für Sie tun kann, Inspektor Rohn.« Er bemerkte eine leichte Veränderung an ihr. Ihr Ton war nicht mehr so scharf wie noch am Vortag.
»Ich habe von einer Straße in Shanghai gehört, wo man billige Sachen kaufen kann. Ich möchte Sie bitten, mich dorthin zu begleiten.«
»Wo soll das sein?«
»Es heißt Huating Lu. Dort werden gefälschte Markenartikel verkauft, Louis Vuitton zum Beispiel oder Gucci und Rolex.«
»Huating Lu – ich bin selbst noch nie dort gewesen.«
»Mit einem Stadtplan finde ich bestimmt auch alleine hin. Bloß werden die Händler mir dann viel mehr abknöpfen. Ich
Weitere Kostenlose Bücher