Die Frau mit dem roten Herzen
schickt.«
»Das brauchst du wirklich nicht überall herumzuerzählen, Lu.«
»Warum denn nicht? Ruru und ich sind stolz, einen Freund wie dich zu haben. Komm jede Woche vorbei. Der Kleine Zhou soll dich fahren. Es sind nur fünfzehn Minuten. Die Kantine in eurem Präsidium ist doch eine Beleidigung für die Menschheit. Geht das heute aufs Büro?«
»Nein, keine Spesen diesmal. Catherine ist eine Freundin von mir, und ich möchte ihr das beste russische Lokal der Stadt vorführen.«
»Danke«, sagte Lu. »Es ist ein Jammer, daß Ruru nicht da ist. Sie würde euch bewirten wie im eigenen Wohnzimmer. Dann ist das heute unsere Einladung.«
»Nein, ich muß selbst bezahlen. Du willst doch nicht, daß ich vor meinem amerikanischen Gast das Gesicht verliere.«
»Keine Sorge, mein Freund, du erhältst dein Gesicht zurück, und dazu unsere besten Gerichte.«
Anna brachte ihnen eine zweisprachige Speisekarte. Chen bestellte ein gegrilltes Kalbskotelett. Catherine entschied sich für geräucherte Forelle und Borschtsch. Zwischen ihnen stehend, pries Lu die Spezialitäten des Hauses an wie in einem Werbespot.
Als sie endlich allein waren, wandte Catherine sich an Chen: »Ist er tatsächlich Auslandschinese?«
»Nein, das ist nur sein Spitzname.«
»Reden Auslandschinesen so wie er?«
»Keine Ahnung. In Filmen werden Auslandschinesen immer dargestellt, als seien sie völlig begeistert, in die Heimat zurückzukehren, und sie übertreiben ständig. Lu kann sich eigentlich nur fürs Essen begeistern. Seinen Spitznamen hat er aus anderen Gründen bekommen. Während der Kulturrevolution war ›Auslandschinese‹ ein negativ besetzter Begriff. Man bezeichnete damit Leute, die man als politisch unzuverlässig brandmarken wollte. Man warf ihnen vor, sie hätten Westkontakte oder führten einen extravaganten, bürgerlichen Lebenswandel. In der Oberschule hat Lu bewußt einen ›dekadenten‹ Lebensstil kultiviert; er brühte sich Bohnenkaffee auf, buk Apfelkuchen, machte Fruchtsalat und trug einen westlich geschnittenen Anzug, wenn er essen ging. Daher sein Spitzname.«
»Dann haben Sie Ihre kulinarischen Kenntnisse also von ihm?« fragte sie.
»So könnte man es sagen. Heutzutage hat ›Auslandschinese‹ einen eher positiven Beiklang, man denkt dabei an jemand Reichen, der erfolgreich seine Geschäfte führt und Verbindungen zum Westen hat. Lu ist inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann mit eigenem Restaurant. Name und Realität decken sich.«
Sie nahm einen kleinen Schluck Wasser, und die Eiswürfel in ihrem Glas klingelten fröhlich. »Warum wollte er so genau wissen, wer bezahlt?«
»Wenn ich geschäftlich hier bin, auf Spesenrechnung, würde er mir zwei- bis dreimal mehr berechnen. Das ist allgemein üblich. Nicht nur im Polizeipräsidium, sondern in allen Staatsbetrieben. Der sogenannte sozialistische Kostenfaktor‹.«
»Aber wieso … ich meine, ist zwei-, dreimal nicht ein bißchen happig?«
»In China sind die meisten Menschen in Staatsbetrieben angestellt. Und das System schreit gewissermaßen nach Ausgleich. Theoretisch sollten ein leitender Manager und ein Hausmeister in etwa den gleichen Lohn bekommen. Deshalb fühlt sich ersterer dazu berechtigt, firmeneigenes Geld für eigene Zwecke auszugeben, etwa um essen zu gehen und andere auszuführen. Das ist der ›sozialistische Kostenfaktor‹, auch wenn es die eigenen Verwandten oder Freunde sind, die man freihält.«
Die Bedienung brachte eine Flasche Wein in einem Korb, dazu zwei kleine Tellerchen mit Kaviar auf einem Silbertablett. »Eine Einladung des Hauses.«
Sie schauten zu, wie die Bedienung feierlich die Flasche entkorkte, einen Schluck in Chens Glas goß und ihn erwartungsvoll ansah. Er reichte das Glas an Catherine weiter.
Sie probierte. »Gut.«
Nachdem die Bedienung sich zurückgezogen hatte, stießen sie miteinander an.
»Ich bin froh, daß Sie mich als Ihre Freundin vorgestellt haben«, sagte sie. »Aber lassen Sie uns die Zeche wenigstens teilen.«
»Kommt nicht in Frage. Es geht nämlich doch auf Spesen. Ich habe ihm das nur gesagt, damit nicht zu viele Ausgaben zusammenkommen. Es wäre tatsächlich ein enormer Gesichtsverlust für einen Chinesen, wenn er nicht für seine Freundin bezahlen würde – noch dazu für seine bildhübsche amerikanische Freundin.«
»Seine bildhübsche amerikanische Freundin!«
»So habe ich es ihm gegenüber nicht formuliert, aber das ist es wohl, was er denkt.«
»Das Leben hier ist wirklich
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