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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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kompliziert – ›sozialistischer Kostenfaktor‹, ›Gesichtsverlust‹.« Sie hob erneut ihr Glas. »Glauben Sie, Gu kam absichtlich hier vorbei?«
    »Gu hat diesen Besuch gestern abend nicht erwähnt, aber ich glaube, Sie haben recht.«
    »Sie waren gestern noch einmal dort?«
    »Ja, zu einer kleinen Karaoke-Party. Ich habe Meiling mitgenommen, meine Sekretärin von der Verkehrsüberwachungsbehörde.«
    »Schon wieder eine neue Begleiterin!« rief sie in gespieltem Entsetzen.
    »Um ihm zu zeigen, daß es mir Ernst ist mit seinem Parkplatz, Inspektor Rohn.«
    »Im Tausch gegen Informationen, wie ich annehme. Und? Haben Sie etwas Neues erfahren, Oberinspektor Chen?«
    »Nicht über Wen, aber er hat versprochen, sich weiter zu bemühen.« Er leerte sein Weinglas, und dabei fiel ihm der Mao Tai mit dem Schlangenblut ein. Er beschloß, die Einzelheiten dieser Karaoke-Party für sich zu behalten. »Das Ganze dauerte bis zwei Uhr nachts, alle möglichen exotischen Speisen wurden aufgetischt und dazu zwei Flaschen Mao Tai. Mein Kopfweh heute morgen können Sie sich vorstellen.«
    »Ach der arme Genosse Oberinspektor Chen.«
    Der Hauptgang wurde serviert. Das Essen schmeckte hervorragend, der Wein war mild, und er war in reizender Gesellschaft. Darüber konnte er seinen Kater fast vergessen. Die Nachmittagssonne strömte durchs Fenster, und im Hintergrund ertönte leise ein russisches Volkslied mit dem Titel »Rote Beerenblüte«.
    Derzeit war er mit seiner Dienstanweisung ganz zufrieden. Er nahm einen weiteren Schluck. Unvollständige Gedichtzeilen kamen ihm in den Sinn.
    Das Sonnenlicht brennt golden,
    wir können den Tag nicht
    hinüberretten vom alten Garten
    auf ein Albumblatt.
    Ergreifen wir ihn also,
    die Stunde wartet nicht…
    Plötzlich war er ganz verwirrt. Das war doch nicht von ihm? Nicht ganz, zumindest. War er etwa noch betrunken? Li Bai hatte immer behauptet, unter Alkoholeinfluß am besten dichten zu können. Chen hatte diese Erfahrung nie geteilt.
    »Woran denken Sie?« fragte sie, während sie ihren Fisch filetierte.
    »Nur ein paar Gedichtzeilen. Nicht von mir, zumindest nicht alle.«
    »Sie sind doch ein bekannter Dichter. Sogar die Bibliothekarin in der Stadtbibliothek hatte schon von Ihnen gehört. Warum rezitieren Sie mir nicht eines Ihrer Gedichte?«
    »Tja …« Er war durchaus versucht. Schließlich hatte Parteisekretär Li ihm aufgetragen, sie zu unterhalten. »Vergangenes Jahr habe ich ein Gedicht über Daifu, einen modernen chinesischen Dichter, verfaßt. Erinnern Sie sich noch an die beiden Zeilen auf meinem Fächer?«
    »Wo das Pferd und die Schöne gleichermaßen gepeitscht werden?« fragte sie lächelnd.
    »Anfang der vierziger Jahre wurde Daifu von der Presse wegen seiner Scheidung in den Dreck gezogen. Daraufhin floh er auf die Philippinen, wo er eine neue Existenz begann und völlig zurückgezogen lebte, wie jemand in Ihren Zeugenschutzprogrammen. Er änderte seinen Namen, ließ sich einen Bart wachsen und eröffnete eine Reishandlung. Er kaufte sich ein ›unberührtes‹ Eingeborenenmädchen, das dreißig Jahre jünger war als er und kein Wort Chinesisch sprach.«
    »So was Ähnliches hat Gauguin auch gemacht«, sagte sie. »Aber ich wollte Sie nicht unterbrechen, bitte erzählen Sie weiter.«
    »Das war während des Antijapanischen Krieges. Der Dichter engagierte sich im Widerstand. Angeblich wurde er von den Japanern ermordet. Seither hat sich um ihn ein Mythos entwickelt. Kritiker behaupten, daß das Mädchen und die Reishandlung und der Bart nur als Tarnung für seine antijapanischen Aktivitäten dienten. Mein Gedicht war eine Reaktion auf diese Behauptung. Die erste Strophe schildert die Vorgeschichte. Das lasse ich jetzt weg. Die zweite und dritte handeln vom Leben des Dichters als Reishändler an der Seite des Eingeborenenmädchens.
     
    Ein riesiges Kontorbuch öffnete ihn / des Morgens, Zahlen / bewegten ihn auf und ab / und den Abakus aus Mahagoni entlang / den ganzen Tag, bis die Ausgangssperre / ihn in ihre nackten Arme schloß, / in einem friedvollen Sack aus Dunkelheit: / Die Zeit war eine Handvoll Reis, /der durch seine Finger rann, eine ausgekaute Bethelnuß / an die Ladentheke geklebt. Er gab es auf, / sich wie ein Ballon zu fühlen /einsam vor einem Horizont, den /nur das Glimmen von Zigarettenstummeln erhellt.
     
    Einmal, um Mitternacht, erwachte er mit den Blättern / unerklärlich zitternd hinter der Scheibe. / Sie griff nach dem Moskitonetz / im Schlaf. Ein

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