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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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geändert.
     
    Jetzt kannst du mit mir sprechen, Steinn. Ich warte.
     
    Mit dir sprechen?
     
    Du wolltest noch eine Chance haben, mir zu erzählen, was du von Dingen denkst, die du nicht erklären kannst.
     
    Genau. Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir bei unserem Wiedersehen neulich dieselbe Frage gestellt, ich weiß nur nicht mehr, was genau ich geantwortet habe. Jedenfalls war ich an dem Mittwoch, als ich das Bücherdorf verlassen hatte, noch lange draußen im Garten des Hotels und habe mich wieder einmal gefragt, warum wir uns damals getrennt haben. Es ging um genau solche Glaubensfragen. Und nun, nachdem ich wieder an die »Preiselbeerfrau« erinnert worden war, versuchte ich mich auch an all die Gespräche zu erinnern, die wir über diese Dinge geführt hatten, damals, bevor es schlagartig totenstill zwischen uns wurde und alles zum Stillstand kam.
    Fast habe ich Angst davor, wieder von der Geschichte anzufangen. Denn du hast recht, dass ich den ganzen Abend und die ganze letzte Nacht hindurch im Schlafzimmer gesessen und geraucht habe. Ich war so verzweifelt. Wir konnten ja nicht mehr miteinander reden. Wir konnten kaum im selben Zimmer sein. Als ich mich irgendwann gegen Morgen hinlegte, war in der Zwanzigerpackung noch genau eine Zigarette übrig, ich weiß es noch wie heute, denn ich habe sie noch auf der Bettkante angezündet, als ich kaum eine Stunde später wieder aufstand. Ich habe sie nicht ganz zur Hälfte geraucht, dann habe ich sie ausgedrückt und bin ins Wohnzimmer gegangen. Dort hast du mit einer Zigarette auf der Sofakante gesessen.
    Steinn, hast du nur gesagt, aber in deinem Blick war etwas, dass ich nur nicken konnte.
    Ich wusste, dass du an dem Tag ausziehen würdest. Und du wusstest, dass ich es wusste. Ich habe nicht versucht, dich zurückzuhalten.
     
    Und mehr als dreißig Jahre später kommst du zurück und fragst, woran ich glaube? Es wird dich vielleicht enttäuschen, aber ich weiß nicht, ob ich an überhaupt irgendetwas »glaube«. Da ist es schon leichter zu beschreiben, woran ich nicht glaube.
     
    Klingt ein bisschen kompliziert, aber woran glaubst du nicht?
     
    Es lässt sich vielleicht mit einem Wort sagen. Ich glaube nicht an irgendeine Form von Offenbarung . Es gibt genug anderes, worüber man staunen kann, und es gibt unendlich viel, was wir nicht wissen. Darum gibt es auch fast keine Grenzen dafür, was man glauben oder woran man zweifeln kann.
     
    Ja?
     
    Wir benutzen das Wort »glauben« doch in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen. Wir können daran glauben, dass Manchester United den FC Liverpool im Fußball besiegt, oder wir können glauben, dass es morgen gutes Wetter gibt. Damit meinen wir, dass wir das eine für wahrscheinlicher halten als das andere. Vielleicht ist es überaus wahrscheinlich, dass Manchester am Sonntag das Spiel gewinnt, und vielleicht gibt es jede Menge Grund zu der Annahme, dass wir morgen gutes Wetter haben werden. Aber natürlich, das sind Fragen, über die wir hier nicht diskutieren.
    Und es gibt noch eine Kategorie von Glaubensfragen, die wir für den Augenblick beiseitelassen können, dazu gehört nicht zuletzt die, die du bereits angedeutet hast, nämlich ob der Big Bang von allein stattgefunden hat oder ob er die Folge eines göttlichen Schöpfungsaktes war. Es ist eine Frage, auf die niemand von uns eine endgültige Antwort geben kann, und ich habe großen Respekt vor der Vorstellung, dass es sich beim Big Bang um ein göttliches Wunder gehandelt hat, auch wenn mir das Wort oder der Begriff »Gott« zu sehr mit menschlichen Vorstellungen aufgeladen ist, als dass ich selbst es verwenden könnte. In dieselbe Kategorie fällt meiner Ansicht nach auch eine andere Frage, die dich beschäftigt, nämlich ob in uns etwas ist, eine »Seele« oder ein »Geist«, die den Tod überleben. Ich selbst halte es nicht für wahrscheinlich, dass etwas in mir den Menschen überleben wird, der ich heute bin, und nicht einmal deshalb, weil ich eine solche Auffassung für völlig unvereinbar mit der Naturwissenschaft hielte. Vielleicht sollte man nur sagen, dass sie eher in einem Grenzbereich angesiedelt ist. Ich will deinen Glauben an ein Dasein danach auch nicht mit irgendwelchen wissenschaftlichen Argumenten abtun – und schon gar nicht will ich versuchen, ihn dir zu nehmen.
     
    Das ist nett. Aber?
     
    Aber ich glaube nicht, dass es »übernatürliche« Mächte gibt, die in die Leben der Menschen eingreifen und sich uns »offenbaren«. Ich

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