Die Frau mit dem roten Tuch
verzweifelt. Du hattest das dringende Bedürfnis, von deinem materialistischen Weltbild befreit zu werden. Du hast sogar zu einem Gott gebetet, an den du nicht glaubst. Ich meine, dann muss man doch wirklich verzweifelt sein.
Siehst du wirklich keine Möglichkeit der Versöhnung? Nicht einmal nach diesem so inhaltsreichen Traum? Der wardoch eine einzige Manifestation der Tatsache, dass du ein überaus aktives Seelenleben hast. Du wurdest außerdem erhört. Das kann nur bedeuten, dass du zumindest unbewusst an deinem Atheismus zweifelst.
Hast du niemals irgendein Erlebnis gehabt, Steinn? Hast du niemals etwas erlebt, das du als Hinweis auf etwas Geistiges oder Transzendentales deuten konntest?
Es ist erst zehn, und ich werde noch lange nicht schlafen gehen.
Doch, ich hatte so ein Erlebnis, in den siebziger Jahren. Ich wollte dir davon erzählen, als wir uns zwischen die Überreste der alten Hütte setzten, ich musste nur erst versuchen, mich von dem gewaltigen Traum zu lösen. Dann kamen die jungen Kühe, und du weißt, warum wir auf dem Weg nach unten nicht mehr viel geredet haben. Es ist beinahe peinlich, so etwas in unserem Alter zuzugeben, aber ich glaube, wir sprachen über etwas, das uns beide verlegen werden ließ. Und plötzlich gab es nichts mehr, was wir sagen konnten. Darum habe ich vorgeschlagen, wir könnten uns zumindest mailen. Du erinnerst dich, ich sagte es, als wir unten beim Schießgelände und der roten Scheune angekommen waren. Als wir deinen Mann in einem der Antiquariate gefunden hatten, konnten wir ohnehin nicht mehr sprechen. Ich hatte mir vorgestellt, wir könnten unsere Begegnung zu dritt bei einer Tasse Kaffee ausklingen lassen, aber dazu ist es nicht gekommen, wie du weißt.
Damals ist, nachdem du gegangen warst, ein ganzes Jahr verstrichen, bevor ich wieder von dir hörte. Da hast du mich gebeten, dir deine Habseligkeiten zusammenzupacken und nach Bergen zu schicken. Das war nicht gerade leicht, du hast es bereits erwähnt. Denn das meiste, was wir besaßen, hatten wir zusammen gekauft. Wir waren mit neunzehn in die gemeinsame Wohnung gezogen, fünf Jahre später war es deshalb schwer, eine Grenze zwischen Dein und Mein zu ziehen. Aber ich glaube, ich war großzügig und habe dich nicht übervorteilt. Viele Dinge hatten vor allem einen sentimentalen Wert, und ich wusste ja, woran du am meisten hingst. Es musste darum nicht einfacher werden. Was für den einen den größten sentimentalen Wert hat, muss deshalb für den anderen nicht wertlos sein, im Gegenteil. Erinnerst du dich an das gläserne Glöckchen, das wir in Småland gekauft haben, nachdem wir in Schonen gewesen waren? Das habe ich auch geliebt, und trotzdem habe ich es vorsichtig in Seidenpapier gewickelt und dir geschickt. Ich hoffe, es hat den Transport überlebt und ist noch immer unversehrt.
Ich weiß von einem Paar, das sich einvernehmlich trennen wollte und schon dabei war, die Bücher möglichst gerecht zu teilen, als sich herausstellte, dass sie Buch um Buch gleich gern hatten. Je mehr Bücher sie in die Hand nahmen, desto deutlicher wurde ihnen das, und als sie über einige sogar redeten, ging ihnen auf, dass sie einander viel zu ähnlich waren, als dass sie sich hätten trennen können. Sie leben immer noch zusammen und halten den Grund, aus dem sie sich damals trennen wollten, für eine belanglose Episode.
Auch in unserem Fall spielten Bücher eine große Rolle, nur war es genau umgekehrt. Ich denke dabei an deine ganze Bibliothek über die Dinge, die dich so plötzlich interessierten, aber vor allem an ein Buch, du weißt, welches ich meine. Manchmal steckt in einem einzigen Buch mehr Sprengstoff als in der wildesten »Episode«.
Als ich alles verpackt und losgeschickt hatte, war mir, als hätte ich unsere Scheidung endgültig besiegelt. Wir brauchten ja keine Papiere, weder für unser Zusammenleben noch dafür, dass wir es beendeten.
Als ich an jenem Morgen bei der Post gewesen war und die drei Kartons aufgegeben hatte, wollte ich nicht gleich wieder in die Wohnung zurück. Ich setzte mich ins Auto und fuhr hinaus auf den Ringvei und weiter zum Drammensvei hinunter, so wie wir es auch zusammen hätten tun können, denn wohin ich wollte, wusste ich erst wirklich, als ich auf dem Weg nach Sollihøgda und Hønefoss an Sandvika vorbeigekommen war.
Fünf Stunden später erreichte ich Haugastøl. Ich fuhr noch ein wenig weiter nach Süden und hoch auf die Hardangervidda, fand den Weg zu unserer
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