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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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das Stück nach Bergen und stellte den roten VW draußen auf Nordnes ab. Von dort aus schlenderte ich durch die Straßen. Absurd war mir die Situation schon vorgekommen, als ich über den Hardangerfjord gesetzt war, denn natürlich hätte ich so die Kartons auch im Auto mitnehmen können. Ich hätte dann sogar einen Grund gehabt, dich zu besuchen.
    Andererseits war ich mir ganz sicher, dass ich dir bald in der Stadt begegnen würde. Ich konnte unmöglich umsonst so weit gefahren sein. Immer wenn ich um eine Straßenecke bog und dich nicht sah, war ich überzeugt, nur um die nächste Ecke biegen zu müssen, um dir doch noch zu begegnen. Am Ende stieg ich nach Skansen hinauf und lief dort eine Weile herum. Ich war zweimal in der Wohnung deiner Eltern im Søndre Blekevei gewesen, aber ich konnte mich schlecht vors Haus stellen, das hätte gar zu melodramatisch ausgesehen, und ich fand auch nicht, dass ich einfach klingeln könne. Ich hatte Angst davor, deine Eltern in die Sache hineinzuziehen.
    Ich war mir sicher, dass du bald einen Abendspaziergang machen würdest, und wie du immer ein Gespür dafür hattest, wo ich war und wann ich auftauchen würde, so würdest du auch jetzt deine Fähigkeiten nutzen und zum richtigen Zeitpunkt herauskommen. Aber wenn du solche Fähigkeiten hattest, Solrun, hast du sie jedenfalls an diesem Abend nicht genutzt – falls du überhaupt zu Hause warst, du konntest dich schließlich ebenso gut in Rom oder Paris aufhalten. Dann fing es an zu regnen. Geld für ein Hotel hatte ich nicht, also machte ich mich auf den Weg zurück nach Nordnes, immer noch mit dem Gefühl, dir unterwegs begegnen zu müssen. Aber ich musste, klatschnass, wie ich war, allein in den roten VW steigen. Ich musste den Zündschlüssel ins Schloss stecken und den Motor anlassen, aber ich gab die Schlacht noch immer nicht verloren und hielt auch auf dem Weg aus der Stadt nach dir Ausschau. Ich stellte mir vor, du könntest eine Freundin besucht haben und dich eben jetzt auf dem Heimweg befinden. Noch in Nordheimsund sah ich eine Gestalt, die von Weitem an dich erinnerte. Du warst es nicht. Ich setzte über den Fjord und war am nächsten Vormittag wieder zu Hause in Kringsjå. Ich schloss mich ein und weinte. Ich trank und schlief.
    Unsere Trennung war ein chirurgischer Eingriff, und er wurde ohne Betäubung vorgenommen.
     
    Ja, Steinn …
    Und als ich dir damals schrieb, hatte ich die winzig kleine, aber tiefe Hoffnung, du würdest meine Sachen, statt sie zu schicken, ins Auto packen und damit nach Bergen fahren. Es war die allerletzte Chance, die wir hatten. Natürlich dachte ich an den darauffolgenden Tagen viel an dich, und eines Abends stellte ich mir tatsächlich vor, wie du unglücklich durch Bergen wanderst. Ich stellte mir vor, meine Sachen lägen im roten Käfer und dir fehlte nur der Mut, sie mir zu bringen. Also beschloss ich, dir entgegenzugehen. Als ich sah, dass es regnete, stürzte ich zurück ins Haus, um einen Regenschirm zu holen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich beeilen musste, wenn ich dich finden wollte. Ich ging zum Fischmarkt und hinauf nach Engen, ich war in Nøstet und sogar draußen auf Nordnes. Aber ich habe dich nicht gefunden. Ich konnte nicht sicher sein, dass du an diesem Abend in Bergen warst, aber ich war davon überzeugt, dass du an diesem Abend zumindest intensiv an mich gedacht hattest, und ich wusste, dass wir uns immer noch liebten.
    Danach verging erst noch ein Jahr, und dann vergingen die Jahre. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich dir, der Ordnung halber sozusagen, kurz mitteilte, dass ich mit Niels Petter zusammengezogen war. Und einige Jahre später hörte ich aus Oslo das Gerücht, dass du deine Berit kennengelernt hattest. Merkwürdigerweise habe ich mich nicht gefreut, als ich es hörte. Ich war eifersüchtig …
     
    Von heute aus gesehen, erscheint mir als das Allermerkwürdigste, dass du noch einmal bei unserer Höhle warst. Ich habe dort ganz bestimmt keine Haarspange benutzt, sie muss mir tatsächlich aus einer Anoraktasche gefallen sein, und das Fünfkronenstück könnte genauso gut von dir gestammt haben.
    Und du hast keine Zigarettenstummel gefunden? Weißt du noch: Wir wollten selbstverständlich keine Zigaretten mit in die Steinzeit nehmen, also mussten wir mit dem Rauchen aufhören oder zumindest eine Rauchpause einlegen, solange wir dort oben hausten. Und eines Tages kommst du vom Angeln zurück, und ich kann deutlich riechen, dass du heimlich geraucht haben

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