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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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ganz aufgewühlt zu dir um. Du hast einen Schreck bekommen, als du meinen Blick gesehen hast. Kündigte sich etwa ein neuer Anfall an?
    Was ist los?, hast du gefragt.
    Und ich habe geantwortet: Ich habe geträumt, dass Bjørneboe tot ist.
    Unsinn, hast du gesagt. Du hast solche Vorahnungen immer für Unsinn gehalten.
    Aber ich bestand darauf: Nein, ich weiß, dass Jens Bjørneboe tot ist. Steinn, sagte ich, er konnte es nicht mehr ertragen.
    Dann fing ich an zu weinen. Wir hatten gerade sein Buch Drømmen og hjulet über Ragnhild Jølsen gelesen. Wir hatten fast alles von Bjørneboe gelesen. Du warst verärgert. Du bist in die Küche gegangen und hast das Radio eingeschaltet, und fast sofort kamen die Nachrichten. Die wichtigste war, dass Jens Bjørneboe gestorben war. Du bist erschrocken ins Bett zurückgekommen und hast dich wieder an mich geschmiegt.
    Was machst du nur, Solrun?, hast du gesagt. Hör auf damit! Du machst mir Angst.
     
    Doch, ich hatte solche »hellseherischen« Erlebnisse, damals noch häufiger als heute. Und wenn deine Seele, dein »Vorspuk« oder »Voranmelder«, immer eine halbe Stunde vor dir nach Hause kam, wenn ich präkognitive Träume hatte, für die wir beide schon am nächsten Morgen die glasklare Bestätigung erhielten, dann war ich irgendwann zwangsläufig reif für die Vorstellung, dass wir Menschen wirklich eine freie Seele haben, unabhängig von den Körpern, die wir gerade bewohnen, meine ich.
    Aber diese Vorstellung allein reichte noch nicht aus, um mich mit meinem Schicksal als »Gast in der Wirklichkeit« zu versöhnen. Ich habe viel geweint, und du warst tapfer, du hast es mit mir ausgehalten. An einem Septembertag hatte ich einen neuen Anfall, du erinnerst dich, wir wollten uns vor dem Hörsaal im Sophus-Bugge-Haus treffen, nach Edvard Beyers Vorlesung über Wergeland, und du hast mich so gut getröstet, wie du konntest. Zum Schluss aber hastdu gesagt: Heute wirst du im Theatercafé die Königin des Abends sein.
    So etwas konnten wir uns eigentlich nicht leisten, aber wir hatten gerade erst unsere Studiendarlehen abgehoben und verbrachten den ganzen Abend im Theatercafé. Für mich gab es zweimal Nachtisch! Du warst so lieb. Aber du wurdest mehr und mehr zum Skeptiker. Ich fand, du wurdest kalt. Du warst nie gemein zu mir, aber du hast dich zu einem Zyniker entwickelt – was die Möglichkeiten der Erkenntnis angeht, meine ich. Deine Bitterkeit hat diesen Weg genommen, und meine, nun ja, einen anderen: den Weg der Hoffnung.
     
    Telepathie, übersinnliche Wahrnehmung oder Hellseherei waren für mich schon Tatsachen, bevor ich zum ersten Mal deinen Vorspuk erlebte. Er hat mich nur bestätigt: Ich hörte dich kommen. Dann bist du nicht gekommen. Und dann doch.
    Als wir dieses Buch fanden, war der Boden bereits bereitet. Darum war ich auch nicht unvorbereitet, als es nur wenige Stunden später zur Begegnung mit der Preiselbeerfrau kam. Ich war am Ende des Weges. Irgendwo musste es eine Lösung geben, eine Erlösung …
     
    Was ist ein Mensch, Steinn? Wie oft denkst du daran, dass dein Oberschenkel oder dein Unterarm gleich unter dem hauchdünnen Film aus berührungsempfindlicher Haut Fleisch und Blut sind? Hast du je versucht, dir vorzustellen, wie deine Eingeweide aussehen? Ich meine, von innen! Ist das du ? Wo würdest du dasjenige in dir verankern, was hier und jetzt deine Subjektivität ausmacht, das ich sagt, träumt und denkt? In der Galle oder der Milz? Im Herzen oder in den Nieren? Sollen wir die Verankerung nicht doch lieber in der Seele suchen, im Geist, in dem, was ist ? Wo alles andere doch nurein Ticken der Uhr, ein Sandkorn in einem Stundenglas ist? Matsch und Modder, Schlamm, wenn du mich fragst.
     
    Jetzt kehre ich zurück zu unserem vorletzten Abend in dem alten Hotel, es war der Abend vor dem Vormittag, an dem uns die Tochter der Hotelbesitzer bat, für eine halbe Stunde auf ihre drei Töchter aufzupassen, während sie zur Bank ging.
    Wir hatten unseren Calvados getrunken und wollten bald schlafen gehen. Aber wir schauten noch ins Billardzimmer und spielten eine Partie – seltsame Vorstellung, dass dieselben drei Kugeln aus Elfenbein noch immer dort auf dem grünen Filz liegen. Wie oft sie wohl schon gegeneinandergestoßen sind?
    Das Billardzimmer diente ja auch als Bibliothek und Bar, und nachdem ich zehn Punkte gemacht hatte und du nur acht, stellten wir uns vor die Bücherregale, wie wir es zuvor jeden Nachmittag oder Abend getan hatten. Es war nur eine

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