Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
und Kultur sich brüstende Gesellschaft muß dulden, daß Sittenlosigkeit und Korruption wie schleichendes Gift ihren Körper durchwühlen. Aber noch eins geht aus diesem Zustand hervor. Der christliche Staat gibt zu, daß die Ehe ungenügend ist und der Mann ein Recht hat, die illegitim Befriedigung des Geschlechtstriebs zu beanspruchen . Bei demselben Staat zählt die Frau nur insofern, als sie sich den illegitimen männlichen Begierden hingeben will, das heißt Prostituierte wird. Auch trifft die von den staatlichen Organen ausgeübte Überwachung und Kontrolle der eingeschriebenen Prostituierten nicht auch den Mann, der die Prostituierte sucht, was, wenn die polizeiärztliche Kontrolle einen Sinn und halbwegs Erfolg haben sollte, selbstverständlich wäre – davon abgesehen, daß die Gerechtigkeit die gleiche Anwendung des Gesetzes auf beide Geschlechter erfordert.
Dieser Schutz des Mannes vor der Frau durch den Staat stellt die Natur der Verhältnisse auf den Kopf. Es sieht aus, als seien die Männer das schwächere und die Frauen das stärkere Geschlecht, als sei die Frau die Verführerin und der arme, schwache Mann der Verführte . Die Verführungsmythe zwischen Adam und Eva im Paradies wirkt in unseren Anschauungen und Gesetzen fort und gibt dem Christentum recht: "Die Frau ist die große Verführerin, das Gefäß der Sünde." Die Männerwelt sollte sich dieser traurigen und unwürdigen Rolle schämen. Aber sie gefällt sich in dieser Rolle des "Schwachen" und "Verführten", denn je mehr sie geschützt wird, um so mehr kann sie sündigen .
Wo Männer in Masse zusammenkommen, scheinen sie ohne Prostituierte sich nicht vergnügen zu können. Das zeigten unter anderem die Vorgänge auf dem deutschen Schützenfest in Berlin im Sommer 1890, Vorgänge, die 2.300 Frauen veranlaßten, sich also in einer Petition an den Oberbürgermeister der deutschen Reichshauptstadt auszulassen: "Gestatten Ew. Hochwohlgeboren allergütigst, daß wir über das diesjährige, bei Pankow vom 6. bis 13. Juli abgehaltene deutsche Bundesschießen dasjenige erwähnen, was durch die Presse und andere Mitteilungen über jenes Fest in die Provinzen gedrungen ist. Die Berichte, welche wir darüber mit tiefster Entrüstung und mit Abscheu vernommen haben, führten unter anderem die Schaustellungen jenes Festes also auf: ›Erster deutscher Herold, größtes Chantant der Welt.‹ ›Hundert Damen und vierzig Herren.‹ Daneben kleinere Tingeltangel und Schießbuden, aus denen überaus zudringliche Frauenzimmer der Männerwelt sich anwarfen. Ferner ›Freikonzert‹, dessen luftigst gekleidete Kellnerinnen frech und ungehindert den Gymnasiasten wie den Familienvater, den Jüngling wie den Mann verführerisch lächelnd zur ›Schützenruh‹ einluden.... Allein die kaum bekleidete ›Dame‹, welche zum Besuch der Bude ›Die Geheimnisse Hamburgs oder eine Nacht in St. Pauli‹ einlud, hätte doch wohl füglich von Polizei wegen beseitigt werden können. Und dann das Entsetzliche, was einfache Bürger und Bürgerinnen der Provinz von der so viel gerühmten Reichshauptstadt kaum zu fassen vermögen, die verlautende Kunde: Daß die Festleitung es zugelassen haben soll, anstatt der sich anbietenden Kellner ›junge Frauenzimmer‹ in großer Zahl als Schenkmädchen ohne Bezahlung anzustellen.... Wir deutschen Frauen haben als Gattinnen, Mütter und als Schwestern unsere Ehemänner, Kinder, Töchter und Brüder in tausendfacher Veranlassung zum Dienst des Vaterlandes nach Berlin zu schicken, und so bitten wir Ew. Hochwohlgeboren in aller Untertänigkeit und in zuversichtlichem Vertrauen, bei dem großen, schwerwiegenden Einfluß, welchen Sie als oberster Beamter der Reichshauptstadt in Händen haben, über jene unwürdigen Vorgänge derartige Untersuchungen anordnen zu wollen und sonstige Ew. Hochwohlgeboren zweckdienlich erscheinende Verordnungen zu treffen, welche eine Wiederkehr jener Orgien, namentlich auch auf dem bevorstehenden Sedanfeste , keinesfalls befürchten lassen. ..." (!!!)
Bei allen großen, auch sogenannten nationalen Festen, bei denen Männer in größerer Zahl zusammenkommen, wiederholt sich ähnliches .
Die deutschen Regierungen machten wiederholt den Versuch, aus dem Widerspruch herauszukommen, in dem sich in bezug auf die Prostitution die Praxis der Staatsgewalt mit der Strafgesetzgebung befindet. Sie brachten Gesetzentwürfe ein, die unter anderem die Polizei bevollmächtigten, den Prostituierten
Weitere Kostenlose Bücher