Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
tugendhafte Kapitalist voll zu würdigen, und so findet die Frau mit der Entwicklung unserer Industrie von Jahr zu Jahr ein immer größeres Anwendungsgebiet, aber – und das ist das Entscheidende – ohne ihre soziale Lage merkbar zu verbessern . Wird weibliche Arbeitskraft angewandt, so setzt sie häufig männliche Arbeitskraft frei. Aber die verdrängte männliche Arbeitskraft will leben, sie bietet sich zu einem geringeren Lohn an, und dieses Angebot drückt wieder auf die Löhne der Arbeiterin. Das Herabdrücken des Lohnes wird zu einer Schraube, die durch die stets in der Umwälzung begriffene Technik des Arbeitsprozesses in Bewegung gesetzt wird, namentlich da dieser Umwälzungsprozeß auch weibliche Arbeiter, durch Ersparnis von Arbeitskräften, freisetzt, was abermals das Angebot von "Händen" vermehrt. Neu auftauchende Industriezweige wirken dieser beständigen Erzeugung von relativ überschüssiger Arbeitskraft einigermaßen entgegen, aber nicht stark genug, um dauernd bessere Arbeitsbedingungen zu erzielen. Wird doch in diesen Industrien, wie zum Beispiel in der elektrotechnischen, die männliche Arbeitskraft von der weiblichen verdrängt. So werden in der gesamten Kleinmotorenfabrik der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft die meisten Arbeitsmaschinen von Mädchen bedient. Jedes Steigen des Lohnes über ein gewisses Maß veranlaßt den Unternehmer, auf weitere Verbesserung seiner Maschinen zu sehen, die willenlose, automatische Maschine an Stelle von menschlichen Händen und menschlichem Hirn zu setzen. Im Beginn der kapitalistischen Produktion steht auf dem Arbeitsmarkt der männliche Arbeiter fast nur dem männlichen Arbeiter gegenüber, jetzt wird Geschlecht gegen Geschlecht und in der Reihe weiter Alter gegen Alter ausgespielt. Die Frau verdrängt den Mann, und die Frau wird wieder durch die Arbeit der jungen Leute und der Kinder verdrängt. Das ist die "sittliche Ordnung" in der modernen Industrie.
Dieser Zustand würde schließlich unerträglich, wirkte nicht die Macht der Organisation der Arbeiter in ihren Gewerkschaften demselben mit aller Macht entgegen. Diesen Organisationen sich anzuschließen, ist auch speziell für die Arbeiterin ein Gebot der Notwendigkeit, weil sie als einzelne noch weit weniger widerstandsfähig gegenüber dem Unternehmer ist als der Arbeiter. Allmählich begreifen das auch die Arbeiterinnen. So waren den freien Gewerkschaften angeschlossen in Deutschland 1892 4.355, 1899 19.280, 1900 22.884, 1905 74.411, 1907 136.929, 1908 138.443 . Im Jahre 1892 waren es nur 1,8 Prozent aller Mitglieder der Gewerkschaften, im Jahre 1908 7,6 Prozent. Nach dem fünften internationalen Bericht über die Gewerkschaftsbewegung betrug die Zahl der weiblichen Mitglieder in Großbritannien 201.709, Frankreich 88.906, Österreich 46.401.
Das Bestreben der Unternehmer, den Arbeitstag zu verlängern, um größeren Mehrwert aus ihren Arbeitern zu pumpen, wird durch die geringere Widerstandskraft der Arbeiterinnen erleichtert. Daher die Erscheinung, daß zum Beispiel in der Textilindustrie, in der die Frauen weit über die Hälfte der Gesamtzahl der Arbeitskräfte stellen, überall die Arbeitszeit am längsten ist, weshalb auch gerade hier der staatliche Schutz durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit einsetzen mußte. Durch die häusliche Tätigkeit daran gewöhnt, daß es für sie kein Zeitmaß für die Arbeit gibt, läßt sie die gesteigerten Anforderungen über sich ergehen, ohne Widerstand zu leisten.
In anderen Erwerbszweigen, wie der Putzmacherei, der Blumenfabrikation usw , verderben sie sich Löhne und Arbeitszeit dadurch, daß sie Extraarbeiten mit nach Hause nehmen und nicht beachten, daß sie dadurch nur sich selbst Konkurrenz machen und bei sechzehnstündiger Arbeitszeit nicht mehr verdienen, als sie bei geregelter zehnstündiger Arbeitszeit verdienen würden.
Welche Bedeutung die gewerbliche Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in den verschiedenen Kulturstaaten erlangt hat, darüber gibt die folgende Tabelle Aufschluß. Sowohl in bezug auf die Erwerbstätigen nach dem Geschlecht als auch im Verhältnis zur Bevölkerung .
Die Erwerbstätigen unter der Bevölkerung
Dieselbe Tabelle zeigt ferner, daß die Zahl der erwerbstätigen Frauen in allen Kulturstaaten einen sehr erheblichen Prozentsatz von der Gesamtbevölkerung in Anspruch nimmt. In Österreich, Frankreich und Italien am meisten – vermutlich liegt dieses,
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