Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
bestimmt das Landesgesetz von 1896, daß die Großgrundbesitzer ohne Unterschied des Geschlechts persönlich abstimmen müssen. Zu den Gewerbegerichten besitzen die Frauen, wie in den Niederlanden, nur das aktive Wahlrecht.
In Deutschland sind die Frauen ausdrücklich vom aktiven und passiven Wahlrecht zu den eigentlichen parlamentarischen Körperschaften ausgeschlossen. Zu den Gemeinderatswahlen haben die Frauen in einzelnen Ländern beziehungsweise Landesteilen das Stimmrecht. Das passive Wahlrecht besitzen die Frauen in keiner einzigen Stadt- oder Landgemeinde. In den Städten sind sie auch vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Ausnahmen von dieser Regel bilden lediglich die Städte des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, der Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, des rechtsrheinischen Bayern und das lübeckische Städtchen Travemünde.
In den bayerischen Städten steht allen Hausbesitzerinnen , in den sachsen-weimarischen und schwarzburgischen allen Bürgerinnen das Stimmrecht zu. Aber nur in Travemünde sind sie zu seiner persönlichen Ausübung berechtigt . Was die Landgemeinden betrifft, so besitzen die Frauen fast regelmäßig das aktive Wahlrecht in allen Gemeinden, in denen das Stimmrecht am Grundbesitz oder an bestimmten Steuerleistungen haftet. Jedoch müssen sie das Stimmrecht durch Vertreter ausüben lassen, auch sind sie nicht wählbar. So in Preußen, Braunschweig, Schleswig-Holstein, Sachsen-Weimar, Hamburg und Lübeck. Im Königreich Sachsen kann nach der Landgemeindeordnung die Frau das Stimmrecht ausüben, wenn sie Grundbesitzerin und unverheiratet ist. Ist sie verheiratet, so geht das Stimmrecht auf den Ehemann über. In den Staaten, in denen in Gemeinden das Stimmrecht am Gemeindebürgerrecht haftet, besitzen es die Frauen in den meisten Fällen nicht. So in Württemberg, in der bayerischen Pfalz, in Baden, Hessen, Oldenburg, Anhalt, Gotha und Reuß j. L. In Sachsen-Weimar-Eisenach, Koburg, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen können Frauen aber nicht nur das Bürgerrecht unter denselben Bedingungen wie Männer erwerben, sondern sie besitzen auch das gleiche vom Besitz gänzlich losgelöste Stimmrecht. Allerdings ist ihnen auch hier eine persönliche Ausübung versagt.
In den preußischen Landesteilen, wo das beschränkte kommunale Frauenwahlrecht besteht, nehmen die wahlberechtigten Frauen auch direkt oder indirekt teil an den Wahlen zu den Vertretungen der Landkreise, den Kreistagen. Im Wahlverband der größeren Grundbesitzer, der Vertreter von Bergwerks- und Gewerbebetrieben wählen die Frauen die Kreistagsabgeordneten direkt, in den Landgemeinden aber indirekt, da dort die Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäte nicht diese Vertreter selbst wählen, vielmehr nur Wahlmänner. Da die Kreistage Abgeordnete für die Provinziallandtage wählen, so kann die kleine Zahl wahlberechtigter Frauen indirekt einen äußerst bescheidenen Einfluß auf die Verwaltung der Provinz ausüben.
In den letzten Jahren werden die Frauen in immer größerer Zahl und mit bestem Erfolg zur Armen- und Waisenpflege herangezogen (eine Ausnahme bildet nur Bayern), in manchen Städten auch zu Schulkommissionen (Preußen, Baden, Württemberg, Bayern, Sachsen) und Wohnungsuntersuchungskommissionen (Mannheim). Das einzige öffentliche Gebiet, auf dem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht besitzen, bleibt die Krankenversicherung; das Wahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten ist ihnen verwehrt geblieben.
Das Wahlrecht ist also in den angeführten Fällen in Deutschland und Österreich fast ausnahmslos nicht an die Person, sondern an den Besitz gebunden. Das ist sehr lehrreich für die herrschende Staatsmoral und das geltende Recht. Der Mensch ist politisch eine Null, hat er kein Geld und Gut. Nicht Verstand und Intelligenz, der Besitz entscheidet.
Das Prinzip, der Frau als einer Unmündigen kein Stimmrecht einzuräumen, ist also tatsächlich durchbrochen. Dennoch wehrt man sich, ihr das volle Recht zuzuerkennen. Man sagt, der Frau das Stimmrecht einzuräumen sei gefährlich, weil sie leicht religiösen Vorurteilen zugänglich und konservativ sei. Aber sie ist beides nur, weil sie unwissend ist; man erziehe sie und lehre sie, wo ihr wahres Interesse liegt. Übrigens wird der religiöse Einfluß bei Wahlen übertrieben. Die ultramontane Agitation war in Deutschland nur so erfolgreich, weil sie das soziale Interesse mit dem
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