Die Frau vom Leuchtturm - Roman
machte er sich über die Reste eines Picknicks her, nachdem eine Gruppe Teenager Pommes frites und Hamburger-Brötchen am Strand hatte liegen lassen.
Wir sahen einander an und lachten. »Bist du für
immer nach Freedman’s Cove zurückgekehrt«, erkundigte sich Dan, »oder machst du nur Urlaub? Mir ist zu Ohren gekommen, dass du ein hohes Tier in der Antiquitätenszene von New york bist.«
Mein Lächeln verschwand, als mir der wahre Grund, aus dem ich nach Freedman’s Cove zurückgekehrt war, wieder einfiel, und sofort hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich schuldig, weil ich hier in der hellen Oktobersonne saß und mit Dan Freedman lachte. Schuldig, an einem so schönen Tag am Leben zu sein.
Auch Schuldgefühle sind schmerzhaft. Sie stehen zusammen mit Kummer und Reue ganz oben auf der Schmerz-Hitliste.
Noch so eine nutzlose, aber kostspielige Information von Laura.
»Ich hatte das Bedürfnis, die Stadt für einige Zeit zu verlassen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Also habe ich beschlossen, hier heraufzufahren und ein bisschen etwas an dem alten Haus zu tun.« Das war nun wieder gelogen. Ich hatte keine Lust, Dan - oder sonst jemandem - von Bobby oder meinem Beinahe-Nervenzusammenbruch zu erzählen. Nicht jetzt.
»Gut«, sagte er, stand auf und streckte mir eine schwielige Hand entgegen. »Ich muss jetzt los, aber es hat mich wirklich gefreut, dich zu treffen, Sue. Vielleicht laufen wir einander ja noch einmal über den Weg, solange du hier bist.«
»Das hoffe ich doch«, gab ich zurück, und mir wurde klar, dass ich es ernst meinte. Ich nahm seine große Hand, umklammerte sie fest und hätte sie am liebsten nicht wieder losgelassen. Denn Dan Freedman war seit Monaten
der erste Mensch, mit dem es mir gelungen war, ein normales Gespräch zu führen. Diese Normalität fühlte sich verdammt gut an, und ich wollte das Gefühl noch eine Weile auskosten. Aber es steckte noch mehr dahinter.
Ich war neugierig geworden und hätte gern mehr über ihn erfahren.
In meiner Teenagerzeit war Danny Freedman der ältere Junge gewesen, über den alle jüngeren Mädchen tuschelten und für den sie heimlich schwärmten. Er fuhr einen verkommenen roten Mustang mit illegal getuntem Auspuff und »ging« mit der schrillen Debbie Carver, die bei Krabb’s bediente und von der Gerüchte behaupteten, sie hätte mit fünfzehn ihre erste Abtreibung gehabt.
Plötzlich fiel mir ein kleiner Vorfall aus dem Jahr, in dem ich fünfzehn und schrecklich unerfahren gewesen war, ein. Ich spürte, wie mir die Hitze den Hals hochkroch, als ich daran dachte, wie ich Danny Freedman damals angesehen hatte: Es war ein warmer Juliabend gewesen, und ich hatte auf der Vorderveranda gesessen, als Dannys Mustang langsam unsere Straße heruntergerollt war. Im Wagen saßen zwei Gestalten, und aus der Stereoanlage stieg rhythmische Musik auf, die im Takt zu dem tiefen Röhren des Mustangs pulsierte.
Natürlich wusste ich, warum Danny und Debbie Carver über den langen, schmalen Damm zu der einsamen Insel fuhren. Denn Maidenstone Island war der einzige Ort, an dem sich verliebte Teenager sicher sein konnten, dass Harvey Peabody sie dort in Ruhe ließ.
Ich hatte den beiden nachgesehen, und meine Neugier war geweckt; ob das nun an der schwülen Luft, der erregenden Musik oder nur der plötzlichen, schmerzlichen Erkenntnis meiner erwachenden Sexualität lag.
Ich war nach oben in mein Zimmer gerannt und hatte zugesehen, wie die Rücklichter an Danny Freedmans Mustang immer kleiner wurden, bis die glitzernden roten Funken im Dunkeln verschwanden.
An meinem Fenster sitzend starrte ich auf die Stelle, an der eben noch die Rücklichter gewesen waren. Nach einer Weile schloss ich die Tür ab, zog meine Jeansshorts und meinen baumwollenen Slip aus und streifte meinen BH ab. Dann lag ich nackt auf dem Bett, während eine sanfte Brise, die durch das Fenster wehte, meine heiße Haut liebkoste, schloss die Augen und stellte mir vor, ich wäre zusammen mit Danny Freedman draußen auf Maidenstone Island.
An Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr, aber ich weiß noch, wie verzweifelt ich mir wünschte, in dieser Nacht die samtene Dunkelheit mit ihm teilen zu können, seine Stimme in mein Ohr flüstern zu hören und seine Hände auf meiner Haut zu spüren.
Leider - oder glücklicherweise, wenn man die Konsequenzen bedenkt, die hätten folgen können - hatte Danny Freedman die Stadt bereits verlassen, als ich alt genug war, um meine
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