Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Meine Stimme klang ungläubig. »Aber Sie sagten doch, sein Hirn habe keinen Schaden genommen …«
Alice hob die Hand, um mich zu unterbrechen. »Hat es auch nicht«, versicherte sie mir. »Einer der Vorteile der Unterkühlung ist, dass extreme Kälte die Gehirnzellen erhält, die normalerweise ohne Sauerstoff innerhalb weniger Minuten absterben würden. Bis auf die Gehirnerschütterung ist Damons Hirn vollkommen in Ordnung.
Allerdings«, fuhr sie fort, senkte ihre Stimme und sah sich verstohlen in der fast leeren Cafeteria um, »existiert eine ziemlich verbreitete … Selbsttäuschung, die das helle Licht und seine Überzeugung, er sei jemandem begegnet, der nicht mehr lebt, erklären könnte …«
Ich schaute verständnislos drein. »Ich glaube, ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, gestand ich.
Dan, der schweigend zugehört hatte, meldete sich plötzlich zu Wort. »Wahrscheinlich versucht Alice zu erklären, dass Damon möglicherweise eine Nahtod-Erfahrung erlebt hat«, meinte er. »Ich habe mich ein wenig mit dem Thema beschäftigt. Im Wesentlichen handelt es sich um konkrete Erlebnisse, die Menschen, die für kurze Zeit klinisch tot waren, gehabt zu haben behaupten. Nachher erinnern sie sich daran, ihren Körper verlassen zu haben und nach oben, auf ein helles Licht zugezogen worden zu sein.«
Er sah zu Alice, die aufmunternd nickte. Offenbar war sie erleichtert darüber, dass ein Laie es übernommen hatte, an ihrer Stelle dieses höchst kontroverse Thema zu beschreiben.
Ich runzelte die Stirn und erinnerte mich ebenfalls vage, einmal etwas über Nahtod-Erfahrungen gehört zu haben. Irgendwann in den ersten Wochen nach Bobbys Verschwinden hatte eine - negative - Besprechung in der Times meine Aufmerksamkeit erweckt. »Ich habe einmal eine Besprechung über das Buch eines Unfallopfers gelesen. Auch diese Frau hat behauptet, ihr Körper sei auf eine Art himmlisches Licht zugeschwebt«, sagte ich und erinnerte mich, dass der Kritiker die Behauptungen der Autorin in Bausch und Bogen als sentimentalen Mythos und einer ernsthaften Untersuchung für unwürdig erklärt hatte. »Aber was hat das jetzt mit Bobby zu tun?«
»Diejenigen, die das Zentrum dieses wunderschönen Lichts erreichen«, fuhr Dan fort, »berichten häufig, sie seien dort Menschen begegnet, von denen sie wussten, dass sie tot waren, insbesondere Freunden und Verwandten.« Dan warf Alice einen durchdringenden Blick zu. »Obwohl Tausende von Menschen darüber berichtet haben, akzeptieren weder Medizin noch Wissenschaft die offenbar spirituelle Natur von Nahtod-Erlebnissen«, schloss er.
»Mein Gott, warum sollte so etwas nicht möglich sein?«, hauchte ich, sah die schweigende Ärztin neben mir an und dachte an meine jüngsten Erlebnisse mit Aimee Marks’ Geist.
Alice seufzte und sah uns beide an wie zwei leicht zurückgebliebene Kinder. »Zugegeben, solche Geschichten
sind ziemlich häufig«, antwortete sie. »Aber es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass irgendetwas außerhalb der Fantasie des Patienten passiert.«
»Mit anderen Worten, Doktor«, entgegnete Dan mit einem Hauch von Sarkasmus, »wenn Sie es nicht beweisen können, existiert es auch nicht.«
Alice schenkte ihm ein tolerantes Lächeln, das zeigte, dass sie schon öfter solche Bemerkungen gehört hatte. »Das ist eben wissenschaftliche Methodik, Dan«, konterte sie. »Sie können nichts beweisen, was sich nicht beweisen lässt. Auf der anderen Seite«, gestand sie achselzuckend, »wer bin ich, dass ich behauptete, es gäbe kein himmlisches Licht, wo gute Freunde und geliebte Menschen auf uns warten, um uns nach unserem Tod in Empfang zu nehmen?«
Dann wandte sie sich an mich. »Eigentlich ist es gar nicht wichtig, ob die sogenannte Nahtod-Erfahrung real oder imaginär ist, Sue. Aber sie kommt eindeutig vor, und das könnte erklären, warum Damon glaubt, Ihren Freund gesehen zu haben.«
»Wahrscheinlich«, meinte ich zögerlich. »Das Problem ist nur, dass zu Bobbys Lebzeiten er und Damon einander kaum ertragen konnten.«
»Herrje!« Alice lachte. »Also, ich habe wirklich noch nie gehört, dass jemand in ein ätherisches Licht geschwebt ist und dort seinen verhassten Nachbarn getroffen hätte.«
»Und warum hatte Damon eigentlich solche Angst?«, wollte ich wissen. »Sicher, er und Bobby haben sich nie gut verstanden, und sie sind sich aus dem Weg gegangen. Aber Angst hatte Damon bestimmt nicht vor ihm.«
Ich sah Dan an, dass er am liebsten etwas
Weitere Kostenlose Bücher