Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
während er der Henker war. Mit allem Ungemach dieser traurigen Existenz beladen, mußte die Marquise noch ihrem einfältigen Gebieter zulächeln, ein Haus der Trauer mit Blumen schmücken und auf ihrem an heimlichen Qualen erblaßten Gesicht das Glück zur Schau stellen. Dieses Ehrgefühl, diese großartige Selbstverleugnung verliehen der jungen Marquise allmählich eine weibliche Würde, ein Bewußtsein der Tugend, das ihr zum Schutz gegen die Gefahren der Welt diente. Im übrigen, um diesem Herzen auf den Grund zu gehen, mochte das verborgene Mißgeschick, das ihrer ersten unschuldigen Mädchenliebe widerfuhr, ihr einen Widerwillen gegen die Leidenschaft eingeflößt haben; vielleicht auch begriff sie nicht die Selbstvergessenheit und die unerlaubten, sinnverwirrenden Freuden, die manche Frauen alle Gesetze der Vernunft und alle Regeln der Tugend, auf denen die Gesellschaft beruht, in den Wind schlagen lassen. Wie auf einen Traum verzichtete sie auf die Süßigkeit, die sanfte Harmonie des Daseins, wie sie ihr die weise Erfahrung der Madame de Listomère-Landon verheißen hatte; sie erwartete ergeben das Ende ihrer Leiden, indem sie jung zu sterben hoffte. Seit ihrer Rückkehr aus der Touraine war ihre Gesundheit von Tag zu Tag schwächer geworden, und das Leben schien ihr vom Leiden abgemessen zu sein; ein Leiden allerdings, das bei oberflächlicher Beurteilung einen eleganten, nahezu wollüstigen Anschein hatte und für die Laune einer Zierpuppe gelten konnte. Die Ärzte hatten die Marquise verurteilt, auf einem Diwan ausgestreckt zu liegen, wo sie inmitten der Blumen, die sie umgaben, verkümmerte und gleich ihnen dahinwelkte. Ihre Schwäche verbot ihr das Gehen und die freie Luft; sie fuhr nur im geschlossenen Wagen aus. So, umgeben von allen Wunderdingen des Luxus und der modernen Industrie, glich sie weniger einer Kranken als einer lässig-trägen Königin. Einige Freunde, die vielleicht in ihr Unglück und ihre Hinfälligkeit verliebt waren und auf eine künftige günstigere Gesundheit spekulierten, kamen, in der Gewißheit, sie immer zu Hause zu finden, ihr Neuigkeiten zuzutragen und die tausend kleinen Begebenheiten, die das Pariser Leben so abwechslungsreich machen, zu berichten. Ihre Melancholie, tief und ernst wie sie war, war immerhin doch die Melancholie des Überflusses. Die Marquise d'Aiglemont glich einer schönen Blume, deren Wurzel von einem schwarzen Insekt zernagt wird. Sie ging bisweilen in Gesellschaft, nicht aus Neigung, aber um den Anforderungen der Stellung, die ihr Mann anstrebte, zu gehorchen. Ihre Stimme und ihr vollendeter Gesang verschafften ihr den Beifall, der einer jungen Frau fast immer schmeichelt; aber was nützten ihr Erfolge, welche weder zu ihren Gefühlen noch zu irgendwelchen Hoffnungen eine Beziehung hatten? Ihr Mann liebte die Musik nicht. Sie fühlte sich fast immer befangen in den Salons, wo ihre Schönheit begehrliche Huldigungen auf sich zog. Ihre Lage erregte dort eine grausame Teilnahme, eine triste Neugierde. Sie litt an einer gefährlichen Krankheit, die häufig genug tödlich verläuft, die sich die Frauen ins Ohr sagen und für die unsere wissenschaftliche Terminologie noch keine Bezeichnung hat. Trotz der Stille, in der sich ihr Leben abspielte, war die Ursache ihres Leidens doch für niemanden ein Geheimnis. Sie war auch in der Ehe noch junges Mädchen geblieben und empfand Scham vor jedem Blick. Um nicht erröten zu müssen, wollte sie nur heiter und lachend erscheinen; sie heuchelte Freude, sagte stets, sie befände sich wohl, oder wich den Fragen über ihre Gesundheit mit schamhaften Lügen aus. Im Jahre 1817 jedoch trug ein Ereignis viel dazu bei, den beklagenswerten Zustand, in dem sich Julie bisher befunden hatte, zu ändern. Sie gebar eine Tochter und wollte sie selbst stillen. Zwei Jahre lang war ihr Leben dank der lebhaften Zerstreuungen und unruhigen Freuden der Mutterschaft weniger unglücklich. Sie konnte sich von ihrem Manne fernhalten. Die Ärzte prophezeiten ihr eine bessere Gesundheit; aber die Marquise glaubte nicht an diese hypothetischen Verheißungen. Wie alle Menschen, für die das Leben keine Annehmlichkeit ist, sah sie vielleicht im Tode eine glückliche Lösung.
Zu Anfang des Jahres 1819 gestaltete sich für sie das Leben grausamer denn je. Als sie eben anfing, sich über ein gewisses Scheinglück, das sie hatte erlangen können, zu freuen, taten sich schreckliche Abgründe vor ihr auf: ihr Mann hatte sich ihrer nach und nach ganz
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