Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
zugleich wandte sich der junge Engländer ab und wagte Julie nur verstohlen anzusehen. Mit Hilfe des Passes langte Madame d'Aiglemont ohne weitere Zwischenfälle in Paris an. Sie traf dort ihren Mann wieder, der von seinem Treueid gegen den Kaiser entbunden und von dem Comte d'Artois, den sein Bruder Ludwig XVIII. zum Generalstatthalter des Königreichs ernannt hatte, aufs schmeichelhafteste empfangen worden war. Victor erhielt einen hohen Rang in der Leibgarde und den Generalstitel. Inmitten der Feste, die die Rückkehr der Bourbonen feierten, wurde die arme Julie von einem tiefen Unglück, das auf ihr ganzes Leben Einfluß haben sollte, betroffen: sie verlor die Marquise de Listomère-Landon. Die alte Dame starb an der Freude und an einer Gicht, die aufs Herz geschlagen war, als sie in Tours den Duc d'Angoulême wiedersah. So war die Frau, die kraft ihres Alters das Recht gehabt hätte, Victor Vorstellungen zu machen, die einzige, die durch kluge Ratschläge ein besseres Einvernehmen zwischen Mann und Frau hätte herstellen können, dahingegangen, und Julie fühlte die ganze Tragweite dieses Verlustes. Sie war nun allein mit sich und ihrem Mann. Aber jung und zaghaft, wie sie war, verlegte sie sich zunächst auf das Dulden, anstatt zu klagen. Die Vornehmheit ihres Charakters verhinderte es ja eben, daß sie sich ihren Pflichten entzog oder nach der Ursache ihrer Leiden forschte; denn sie zu einem Ende zu bringen wäre eine zu delikate Sache gewesen: Julie hätte gefürchtet, gegen ihre mädchenhafte Schamhaftigkeit zu verstoßen.
Ein Wort über die Geschicke des Monsieur d'Aiglemont unter der Restauration.
Gibt es nicht viele Menschen, deren innere Nichtigkeit den meisten, die sie kennen, verborgen bleibt? Ein hoher Rang, eine illustre Abstammung, wichtige Ämter, ein gewisser weltmännischer Schliff, eine betonte Zurückhaltung im Benehmen oder das Blendwerk des Reichtums sind für sie Schutzmauern, die es verhindern, daß die Kritik bis zu ihrer eigentlichen Existenz vordringt. Diese Leute gleichen den Königen, deren wirkliche Beschaffenheit, Charakter und Sitten niemals wirklich gekannt und richtig beurteilt werden können, weil sie von zu weit oder von zu nahe gesehen werden. Solche Personen von trügerischem Verdienst fragen, anstatt zu reden, verstehen die Kunst, den andern eine Rolle zu geben, um nicht selbst vor ihnen hervortreten zu müssen; dann ziehen sie mit glücklicher Gewandtheit einen jeden am Draht seiner Begierden und Interessen, treiben ihr Spiel mit Männern, die ihnen in Wahrheit überlegen sind, machen Marionetten aus ihnen und halten sie für klein, weil sie sie bis zu sich herabgezogen haben. Ihre armselige, aber feststehende Denkweise erlangt dann einen Sieg über die Beweglichkeit der großen Gedanken. Um diese Hohlköpfe zu beurteilen und ihren negativen Wert abzuschätzen, muß der Beobachter einen mehr scharfsinnigen als überlegenen Geist haben, mehr Geduld als Weite des Blickes, mehr Schlauheit und Takt als Größe und Erhabenheit in den Ideen entfalten. Jedoch so viel Geschicklichkeit diese Usurpatoren auch anwenden, um ihre schwachen Seiten zu verteidigen, so ist es ihnen sehr schwer, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Kinder oder den Freund des Hauses zu täuschen. Nur daß diese Personen ihnen das Geheimnis meistens bewahren, weil es gewissermaßen ihre gemeinsame Ehre angeht, ja sie helfen noch dabei, der Welt etwas vorzumachen. Wenn nun, dank dieser häuslichen Verschwörungen, viele dumme Tröpfe als bedeutende Männer gelten, so gibt es anderseits eine Anzahl bedeutender Männer, die für dumme Tröpfe gehalten werden, so daß der Staat immer die gleiche Menge anscheinend fähiger Köpfe hat. Man bedenke nun, was für eine Rolle eine Frau von Geist und Gemüt neben einem Manne dieser Art spielen muß; wird man da nicht leidvoller Existenzen gewahr, die sich aufopfern und deren liebeerfüllte Herzen voller Zartgefühl sich durch nichts in dieser Welt entschädigen lassen können? Wenn ein starkes Weib sich in solch schrecklicher Lage befindet, so befreit es sich daraus durch ein Verbrechen, wie Katharina II., die nichtsdestoweniger die Große genannt wurde. Aber da nicht alle Frauen auf dem Thron sitzen, so nehmen sie zum größten Teil ihr häusliches Unglück auf sich, das nicht weniger schrecklich ist, weil es im Verborgenen bleibt. Diejenigen, welche für ihr Ungemach einen sofortigen Trost hienieden suchen, tauschen häufig nur das eine Leiden gegen ein anderes ein, wenn
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