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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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entgegengesetzten Lage, in der sie sich befanden, war vielleicht das Glück der einen eine Garantie, daß sie für das Unglück der andern wahre Teilnahme hegte. In solchem Falle ist die Unähnlichkeit der Geschichte beinahe immer ein starkes Freundschaftsband.
    »Ist jetzt Jagdzeit?« fragte Julie mit einem gleichgültigen Blick auf ihren Mann. Es war Ende März. »Madame, der Oberjägermeister jagt, wann und wo er will. Wir wollen im königlichen Forst Treibjagden auf Wildschweine abhalten.« – »Nehmen Sie sich in acht, daß Ihnen nicht von ungefähr ein Unfall zustößt...« »Ein Unglück ist immer von ungefähr«, antwortete er lächelnd. »Der Wagen von Monsieur ist vorgefahren«, meldete Guillaume.
    Der General erhob sich, küßte Madame de Wimphen die Hand und wandte sich zu Julie: »Wenn ich von einem Keiler getötet würde ...!« bat er mit unterwürfiger Miene. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Madame de Wimphen. »Geh doch, rede nicht so!« sagte Madame d'Aiglemont zu Victor. Dann lächelte sie, wie um Louisa zu bedeuten: ›Du wirst sehen.‹ Sie bot ihrem Manne den Hals, der sich anschickte sie zu küssen; doch die Marquise wandte sich so zur Seite, daß der eheliche Kuß die Rüsche ihres Kragens streifte. »Sie werden mir vor Gott bezeugen«, sprach der Marquis zu Madame de Wimphen gewandt, »daß ich einen Ferman brauchte, um diese leise Gunst zu erwirken. Das ist die Art, wie meine Frau die Liebe auffaßt. Ich weiß nicht, durch welche List sie mich so weit gebracht hat... Viel Vergnügen!«
    Und er verließ das Zimmer.
    »Aber dein armer Mann ist wirklich gut«, rief Louisa aus, als die beiden Frauen allein waren; »er liebt dich!« – »Oh, sage keine Silbe mehr! Ich verabscheue den Namen, den ich trage.« – »Ja, aber Victor gehorcht dir ganz und gar«, sagte Louisa. »Sein Gehorsam«, antwortete Julie, »beruht zum Teil auf der Hochachtung, die ich ihm eingeflößt habe. Ich bin, was man eine tugendhafte Frau nennt; ich mache ihm sein Haus angenehm, ich schließe die Augen vor seinen Liebschaften, ich nehme nichts von seinem Geld, er kann seine Einkünfte nach Belieben durchbringen, ich sehe nur zu, daß er das Kapital nicht antastet. Das ist der Preis für meinen Frieden. Er macht sich meine Existenz nicht klar oder will sie sich nicht klarmachen. Aber wenn ich meinen Mann auch so lenke, so fürchte ich nichtsdestoweniger die Ausbrüche seines Charakters. Ich bin wie ein Bärentreiber, der davor zittert, daß der Maulkorb eines Tages zerreißen kann. Ich wage nicht, auszudenken, was geschehen könnte, wenn Victor das Recht zu haben glaubte, mich nicht mehr zu achten; denn er ist gewalttätig, voller Eigenliebe und, mehr noch, voll Eitelkeit. Sein Verstand reicht nicht so weit, daß er in einem schwierigen Falle, wo seine schlimmen Triebe im Spiel sind, maßhalten könnte, und sein Charakter ist so schwach, daß er mich ohne Besinnen töten würde, wenn er auch tags darauf vor Kummer stürbe. Doch dies verhängnisvolle Glück ist nicht zu fürchten.«
    Es trat ein Schweigen ein, unter dem die Gedanken der beiden Freundinnen sich auf die geheime Ursache dieser Situation richteten. »Man ist mir auf eine grausame Weise gehorsam gewesen«, nahm Julie das Gespräch wieder auf und wechselte einen verständnisvollen Blick mit Louisa. »Dennoch hatte ich ihm nicht verboten, mir zu schreiben. Ah, er hat mich vergessen, und er hat recht gehabt! Es wäre allzu unheilvoll, wenn auch sein Geschick zerbrochen würde! Es ist genug an dem meinen. Würdest du es glauben, Liebe, daß ich die englischen Zeitungen einzig darum lese, seinen Namen gedruckt zu sehen? Nein, er ist noch nicht in der Pairskammer gewesen.« – »Kannst du denn Englisch?« – »Habe ich's dir nicht gesagt? Ich habe es gelernt.« – »Arme Kleine!« rief Louisa und nahm Julies Hand; »wie kannst du nur so leben?« – »Das ist ein Geheimnis«, erwiderte die Marquise mit einer fast kindlich naiven Gebärde. »Höre! Ich nehme Opium. Die Geschichte der Duchesse de ... in London hat mich auf die Idee gebracht. Du weißt. Maturin hat einen Roman daraus gemacht. Meine Laudanumtropfen sind sehr schwach. Ich schlafe. Ich wache nur sieben Stunden, und die widme ich meiner Tochter.« Louisa starrte ins Feuer und wagte nicht, die Augen zu ihrer Freundin zu erheben, deren ganzes Elend sich zum erstenmal vor ihr enthüllte. »Louisa, wahre mein Geheimnis!« sagte Julie nach einem Augenblick des Schweigens.
    Plötzlich brachte ein Diener

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