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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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während der kurzen Augenblicke ihres trübseligen Mahles und schien sie auch da kaum ertragen zu können. Mußte das Leid nicht ungeheuerlich sein, um bei einer so jungen Frau die Muttergefühle zum Schweigen zu bringen? Keiner ihrer Leute hatte Zutritt zu ihr. Ihre Zofe war das einzige Wesen, deren Dienste sie duldete. Sie verlangte absolute Ruhe im Schloß; ihre Tochter mußte in einem entlegenen Teil des Hauses spielen. Es fiel ihr so schwer, das leiseste Geräusch zu ertragen, daß jede menschliche Stimme, selbst die ihres Kindes, ihr eine leidige Störung war. Die Leute in der Gegend beschäftigten sich anfangs viel mit ihren Absonderlichkeiten; dann aber, als die Vermutungen erschöpft waren, dachten weder die Bewohner der kleinen Städte der Umgebung noch die Bauern mehr an die kranke Frau.
    Die Marquise war also sich selbst überlassen und konnte inmitten des Schweigens, das sie um sich gebreitet hatte, in völliger Lautlosigkeit verharren; sie hatte keine Ursache, dieses mit Teppichen bespannte Gemach zu verlassen, in dem ihre Großmutter gestorben und in das sie jetzt gekommen war, um auch dort sterben zu können, in Ruhe, ohne Zeugen, ohne Belästigung, ohne die falschen Bezeugungen der sich mitleidig gebärdenden Selbstsucht ertragen zu müssen, die in den Städten das Sterben doppelt schwer macht. Diese Frau war sechsundzwanzig Jahre alt. In diesem Alter will ein Gemüt, das noch voll romantischer Illusionen ist, den Tod, wenn er ihm erwünscht ist, schlürfen und auskosten. Aber der Tod verfährt mit jungen Menschen kokett: bald kommt er, bald zieht er sich zurück, bald zeigt er sich, bald verbirgt er sich; seine Langsamkeit ernüchtert sie, und die Ungewißheit, die der jeweils folgende Tag verursacht, schleudert sie schließlich in die Welt zurück. Dort stoßen sie wieder unfehlbar auf das Leid, das unbarmherziger als der Tod ist und sie heimsucht, ohne auf sich warten zu lassen. Auch diese Frau, die nicht mehr weiterleben wollte, sollte in ihrer Einsamkeit die Bitternis dieses Zögerns zu spüren bekommen; sie sollte hier in einem seelischen Todeskampf, dem der Tod kein Ende machen würde, in einer furchtbaren Lehrzeit den Egoismus erlernen, der die Unschuld ihres Herzens vernichtete und es für die Welt herrichtete.
    Diese grausame und traurige Lehre ist immer die Frucht unserer ersten Schmerzen. Die Marquise litt in der Tat vielleicht zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben. Ist es nicht fürwahr ein Irrtum, wenn man meint, die Gefühle könnten noch einmal wiederkehren? Existieren sie nicht immer, wenn sie erst einmal aufgetaucht sind, auf dem Grunde des Herzens? Dort kommen sie zur Ruhe und werden wieder wach gerüttelt, je nach den Wechselfällen des Lebens; aber sie bleiben dort, und ihr Dasein verändert notwendigerweise die Seele. Demzufolge hätte also jedes Gefühl nur einen einzigen großen Tag, den mehr oder weniger langen Tag seines ersten Sturmes. Auch der Schmerz, das beharrlichste unserer Gefühle, wäre demnach nur bei seinem ersten Ansturm wirklich lebendig, und seine späteren Angriffe wären immer schwächer, entweder, weil wir uns an seine Anfälle gewöhnt hätten, oder auf Grund eines Gesetzes unserer Natur: um am Leben zu bleiben, stellt sie dieser Kraft der Zerstörung eine gleich starke Kraft der Trägheit entgegen, die in den Berechnungen des Egoismus gefunden wird. Aber welchem unter allen Leiden gebührt dieser Name Schmerz? Der Verlust der Eltern ist ein Kummer, auf den die Natur die Menschen vorbereitet hat; körperliche Qualen sind vorübergehend und greifen die Seele nicht an; und wenn sie nicht weichen, sind sie keine Qualen mehr, sondern der Tod. Wenn eine junge Frau ein Neugeborenes verliert, schenkt ihr die eheliche Liebe bald einen Ersatz. Auch diese Betrübnis ist vorübergehend. Kurz, diese Anfechtungen und viele andere ähnlicher Art sind gewissermaßen Schläge, Wunden; aber keine greift das Leben in seiner Wurzel an, und sie müssen ungewöhnlich heftig aufeinander folgen, um das Gefühl zu töten, das in uns nach Glück schreit. Der große, der wahre Schmerz muß also ein Leid sein, das so mörderisch ist, daß es Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich auslöscht, kein Stückchen Leben heil läßt, den Gedanken für immer die Natürlichkeit raubt, sich unvertilgbar auf die Lippen, auf die Stirne schreibt, der Freude die Flügel bricht oder lahmt und der Seele einen grundlegenden Ekel an allen Dingen in der Welt einflößt. Weiterhin muß dieses

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