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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Tod! Sie hätten ihn vor Gott zu verantworten. Ich bitte Sie für zwei Stunden um Gastfreundschaft. Haben Sie wohl acht, mein Herr! So flehentlich ich auch bitte, so muß ich doch zugleich mit dem Zwang der Notwendigkeit fordern. Ich fordere die Gastfreundschaft Arabiens! Ich muß Ihnen heilig sein; wenn nicht, öffnen Sie, ich werde in den Tod gehen. Ich brauche Verschwiegenheit, Asyl und Wasser. Oh, Wasser!« wiederholte er mit röchelnder Stimme. »Wer sind Sie?« fragte der General, der mit höchstem Erstaunen dem fieberhaften Redeschwall des Unbekannten gefolgt war. »Ah! Wer ich bin? Nun, dann öffnen Sie, ich gehe!« versetzte der Mann mit teuflischem Hohn.
    Obwohl der General geschickt das Licht seiner Laterne lenkte, konnte er doch nur den untern Teil des Gesichts sehen, und nichts darin sprach dafür, daß man eine auf so seltsame Art geforderte Gastfreundschaft hätte gewähren sollen: die Wangen zitterten, waren leichenfahl, und die Züge fürchterlich verzerrt. Unter dem Schatten des Hutrandes flackerten die Augen mit einem Glanz, vor dem der blasse Schein der Laterne verblich. Dennoch, es bedurfte einer Antwort. »Monsieur«, sagte der General, »Sie führen eine so ungewöhnliche Sprache, daß Sie an meiner Stelle ...« – »Sie haben mein Leben in Händen!« unterbrach der Fremde den Hausherrn mit schrecklicher Stimme. »Zwei Stunden?« fragte der General unentschlossen. »Zwei Stunden!« wiederholte der Mann.
    Dann schob er plötzlich mit einer Gebärde der Verzweiflung seinen Hut aus der Stirn, und als wollte er einen letzten Versuch machen, schleuderte er dem General einen Blick zu, dessen Feuer ihm bis ins Mark drang. Dieser Strahl von Intelligenz und Willenskraft glich einem Blitz, und seine Wirkung war niederschmetternd wie die des Blitzes; denn in manchen Augenblicken sind die Menschen mit einer unerklärlichen Macht begabt. »Nun denn, wer Sie auch seien, Sie werden unter meinem Dache in Sicherheit sein!« versetzte der Hausherr feierlich, der einer jener instinktiven Regungen zu gehorchen glaubte, die der Mensch nicht immer zu deuten weiß. »Gott vergelte es Ihnen!« sagte der Unbekannte mit einem tiefen Seufzer. »Sind Sie bewaffnet?« fragte der General. Statt jeder Antwort öffnete der Fremde seinen Pelz und schloß ihn rasch wieder, so daß dem General kaum Zeit blieb, einen Blick auf seine Kleidung zu werfen. Er war anscheinend ohne Waffen und in dem Anzug eines jungen Mannes, der vom Ball kommt. So flüchtig diese kurze Prüfung des mißtrauischen Offiziers auch war, sie hatte genügt, um ihn zu dem Ausruf »Wo in aller Welt haben Sie sich bei dem trockenen Wetter so mit Kot bespritzen können?« zu veranlassen. »Schon wieder Fragen!« antwortete der Unbekannte hochmütig. In diesem Augenblick bemerkte der Marquis seinen Sohn und erinnerte sich der Lektion, die er ihm soeben betreffs der strengen Einhaltung des einmal gegebenen Wortes erteilt hatte. Er war so ärgerlich darüber, daß er zornig ausstieß: »Wie denn, du Schlingel, du stehst hier, anstatt in deinem Bette zu sein?« – »Weil ich glaubte, Ihnen in der Gefahr nützlich sein zu können«, antwortete Gustave. »Nun, geh in dein Zimmer hinauf«, sagte der Vater, von der Antwort des Sohnes besänftigt. »Und Sie«, wandte er sich an den Fremdling, »folgen Sie mir!«
    Sie wurden schweigsam wie zwei Spieler, die einander mißtrauen. Finstere Ahnungen bemächtigten sich des Generals. Der Unbekannte lag ihm schon wie ein Alpdruck auf dem Herzen; aber von seiner Eidespflicht gebunden, führte er ihn durch die Korridore, über die Treppen seines Hauses und ließ ihn in ein im zweiten Stockwerk gerade über dem Salon gelegenes großes Zimmer eintreten. Dieser unbewohnte Raum diente im Winter als Trockenkammer, stieß an keinen Wohnraum und hatte an seinen vier vergilbten Wänden keinen andern Schmuck als über dem Kamin einen schlechten Spiegel, den der vorige Mieter dagelassen hatte, und dem Kamin gegenüber einen weiteren großen Spiegel, der, da man bei der Einrichtung keine Verwendung dafür gehabt hatte, provisorisch dort angebracht worden war. Der Fußboden dieser geräumigen Mansarde war nie gefegt worden, die Luft darin war eisig, und zwei Rohrstühle mit ausgerissenem Sitz bildeten das ganze Mobiliar. Nachdem der General seine Laterne auf den Kaminsims gestellt hatte, sagte er zu dem Unbekannten: »Ihre Sicherheit fordert, daß Sie diese elende Mansarde als Zufluchtsort nehmen. Und da ich Ihnen mein Wort gegeben habe,

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