Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Korn, eine so kräftige Lektion erteilt, daß sie auf Lebenszeit in dem Gemüt des Knaben nachwirkte. Als er so alt war wie du, kam Fox in den Ferien zu seinem Vater, welcher, wie alle reichen Engländer, einen ansehnlichen Park besaß, in dem sein Schloß stand. In dem Park befand sich ein alter Pavillon, der abgerissen und an einer Stelle wieder aufgebaut werden sollte, die ein besonders schöner Aussichtspunkt war. Kinder haben eine Freude daran, zuzusehen, wie etwas niedergerissen wird. Der kleine Fox wollte noch ein paar Tage länger Ferien haben, um bei dem Abbruch des Pavillons zugegen zu sein; aber sein Vater wünschte, daß er am Tag des Unterrichtsbeginns dorthin zurückkehre; darüber entzweiten sich Vater und Sohn. Die Mutter, wie alle Mütter, stand zum kleinen Fox. Nunmehr versprach der Vater dem Sohne feierlich, daß er mit dem Abbruch des Pavillons bis zu den nächsten Ferien warten würde. Fox kehrte in die Schule zurück. Der Vater, der der Meinung war, daß ein kleiner Junge, der zu lernen hatte, diese Sache bald vergessen würde, ließ den Pavillon abbrechen und an der andern Stelle wieder aufbauen. Der eigensinnige Junge aber dachte an nichts anderes als an diesen Pavillon. Als er nach Hause kam, war sein erstes, nach dem alten Häuschen zu sehen; aber er kam ganz niedergeschlagen zum Frühstück und sagte zum Vater: ›Sie haben mich betrogen.‹ Der alte englische Edelmann erwiderte darauf beschämt, aber voll Würde: ›Es ist wahr, mein Sohn, aber ich werde meinen Fehler wiedergutmachen, man muß an seinem Wort mit mehr Beharrlichkeit festhalten als an seinem Vermögen; denn wer sein Wort hält, kommt zu Vermögen, und aller Reichtum kann den Makel nicht tilgen, den ein Wortbruch dem Gewissen aufdrückt.‹ Der Vater ließ den alten Pavillon wiederherstellen, wie er gewesen war; hernach, als er aufgebaut war, wurde er vor den Augen des Sohnes niedergerissen. Laß dir das als Lektion dienen, Gustave!«
    Gustave, der seinen Vater aufmerksam angehört hatte, schloß sofort das Buch. Einen Augenblick trat Stille ein, währenddessen hob der General Moina, die sich gegen den Schlaf wehrte, hoch und setzte sie sanft auf seine Knie. Die Kleine ließ ihr schlaftrunkenes Köpfchen auf die Brust des Vaters fallen und schlief umhüllt von den goldenen Locken ihres Haarschopfes sogleich fest ein. In diesem Augenblick ertönten hastige Schritte auf der Straße, und drei Schläge an der Tür hallten im Hause wider. Diese drei langanhaltenden Schläge klangen unmißverständlich, wie der Schrei eines Menschen, der in Todesgefahr schwebt. Der Wachhund bellte wütend los. Hélène, Gustave, der General und seine Frau fuhren heftig zusammen; doch Abel, dem seine Mutter endlich die Nachtmütze aufgestülpt hatte, und Moina wachten nicht auf.
    »Der hat es aber eilig!« sagte der General, indem er die Kleine in den Lehnstuhl legte. Er verließ eilig das Zimmer, ohne die Bitte seiner Frau zu beachten, die ihm zurief: »Geh nicht hinaus, Lieber ...« Der Marquis ging in sein Schlafzimmer, nahm ein paar Pistolen, zündete seine Blendlaterne an, stürzte zur Treppe, rannte schnell wie der Blitz hinunter und stand sobald an der Haustür, wohin ihm sein Sohn unerschrocken gefolgt war. »Wer ist da?« fragte er. »Öffnen Sie!« antwortete eine von keuchenden Atemzügen nahezu erstickte Stimme. »Sind Sie Freund?« – »Ja, Freund.« – »Sind Sie allein?« – »Ja ..., aber öffnen Sie, denn man kommt!« Kaum hatte der General die Tür einen Spaltbreit geöffnet, so schlüpfte mit der gespenstischen Geschwindigkeit eines Schattens ein Mann in die Halle herein; und bevor der General sich dem widersetzen konnte, zwang ihn der Unbekannte, die Tür loszulassen, stieß diese mit einem kräftigen Fußtritt zu und stemmte sich entschlossen dagegen, als wollte er verhindern, daß sie geöffnet würde. Der General, der, um ihn in Schach zu halten, im Nu seine Pistole und die Laterne gegen die Brust des Fremden hielt, sah einen Mann von mittlerem Wuchs, der in einen weiten, schleppenden Pelz, das Kleidungsstück eines alten Mannes, das nicht für ihn gemacht zu sein schien, eingehüllt war. Der Flüchtling hatte, ob aus Vorsicht oder aus Zufall, den Hut tief in die Stirn gedrückt, so daß dieser die Augen fast verdeckte.
    »Monsieur«, sprach er den General an, »nehmen Sie Ihre Pistole herunter. Ich werde nicht ohne Ihre Einwilligung hierbleiben; aber wenn ich hinausgehe, erwartet mich am Stadttor der Tod. Und welch ein

Weitere Kostenlose Bücher