Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
Erregung nicht meistern.
»Haben Monseigneur nicht eben einen Mann in Richtung Stadttor laufen hören?« – »In Richtung Stadttor? Nein.« – »Sie haben Ihre Tür niemandem geöffnet?« – »Sehe ich denn wie jemand aus, der selbst das Haustor aufschließt?« – »Aber Verzeihung, General, in diesem Augenblick scheint es mir, daß ...« – »Alle Wetter!« rief der Marquis zornig, »wollen Sie mich zum besten haben? Haben Sie das Recht ... « – »Nein, durchaus nicht, Euer Gnaden«, begütigte der Brigadier; »Sie werden unsern Eifer entschuldigen. Wir wissen wohl, daß ein Pair von Frankreich sich nicht der Gefahr aussetzt, zu dieser Stunde der Nacht einen Mörder in seinem Haus aufzunehmen, jedoch der Wunsch, eine Auskunft zu erhalten...« – »Einen Mörder!« rief der General; »und wer ist denn ...?« – »Der Baron de Mauny wurde gerade eben mit einem Beil erschlagen«, erwiderte der Gendarm; »doch wir sind dem Mörder auf den Fersen. Wir sind sicher, daß er hier in der Gegend ist, und werden ihn aufspüren. Verzeihen Sie, General!«
Der Gendarm sagte dies, während er sein Pferd wieder bestieg, so daß es ihm glücklicherweise nicht möglich war, das Gesicht des Generals zu sehen. Sonst hätte der Brigadier, der gewöhnt war, alles mögliche zu mutmaßen, leicht beim Anblick dieser unverstellten Miene, in der sich alle Regungen der Seele spiegelten, Verdacht schöpfen können. »Weiß man den Namen des Mörders?« fragte der General. »Nein«, antwortete der Reiter; »er hat das Gold und die Banknoten, die in großer Menge im Schreibtisch lagen, nicht berührt.« – »Es wird ein Racheakt sein«, meinte der Marquis. »Ach was! Gegen einen Greis... Nein, nein, der Geselle wird nicht Zeit gehabt haben, den Streich auszuführen.«
Und der Gendarm folgte seinen Gefährten, die schon weitergeritten waren. Der General war eine Weile begreiflicherweise der größten Bestürzung preisgegeben. Da hörte er seine Dienstboten nach Hause kommen, die in einen hitzigen Disput geraten waren, ihre Stimmen schallten vom Kreuzweg nach Montreuil her herüber. Als er sie vor sich hatte, brach sein Zorn, der einen Vorwand brauchte, um sich zu entladen, wie ein Gewitter los. Seine Stimme hallte bis in alle Winkel des Hauses. Als jedoch der dreisteste und pfiffigste von ihnen, sein Kammerdiener, vortrat und die Verspätung damit entschuldigte, daß sie vor Montreuil von Gendarmen und Polizeibeamten aufgehalten worden waren, die sich auf der Suche nach einem Mörder befanden, beruhigte sich der General. Plötzlich schwieg er. Gleich darauf aber erinnerte ihn das Wort ›Mörder‹ an die Pflichten seiner merkwürdigen Lage, und er befahl seinen Leuten kurz, sofort schlafen zu gehen, und versetzte diese in großes Erstaunen damit, daß er die Lüge des Kammerdieners so leicht gelten ließ.
Während diese Ereignisse sich im Hof zutrugen, hatte ein scheinbar unbedeutender Zwischenfall die Lage der andern Personen, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen, sehr verändert. Sobald der Marquis das Zimmer verlassen hatte, neigte sich seine Frau zu ihrer Tochter, und indem sie abwechselnd Hélène und den Mansardenschlüssel anblickte, flüsterte sie ihr schließlich zu: »Hélène, dein Vater hat den Schlüssel auf dem Kamin liegen lassen.« Das junge Mädchen hob erstaunt den Kopf und sah die Mutter furchtsam an, deren Augen vor Neugierde funkelten. »Ja und ... Mutter?« fragte sie verstört. »Ich möchte gern wissen, was da oben vorgeht. Wenn ein Mensch da oben ist, so hat er sich noch nicht vom Fleck gerührt. Geh doch hinauf...« – »Ich?« rief das junge Mädchen entsetzt aus. »Hast du Furcht?« – »Nein, Mutter, aber mir war, als ob ich den Schritt eines Mannes gehört hätte.« – »Wenn ich selbst hinaufgehen könnte, würde ich dich nicht bitten, es zu tun, Hélène«, versetzte die Mutter kühl und würdevoll; »wenn dein Vater hereinkäme und mich nicht fände, würde er mich vielleicht suchen, während er deine Abwesenheit gar nicht bemerken wird.« – »Mutter«, antwortete Hélène, »wenn du es mir befiehlst, werde ich gehen, aber es wird mich die Achtung meines Vaters kosten...« – »Wie denn!« sagte die Marquise ironisch; »da du ernst nimmst, was nur als Scherz gemeint war, befehle ich dir nun, nachzusehen, wer da oben ist. Hier ist der Schlüssel; meine Tochter! Als dir dein Vater Schweigen gebot über das, was sich heute in seinem Hause zuträgt, hat er dir nicht untersagt, in dieses
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