Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
Stillschweigen zu wahren, so werden Sie mir erlauben, daß ich Sie hier einschließe.« Der Mann nickte zum Zeichen der Zustimmung. »Ich habe nur Obdach, Verschwiegenheit und Wasser verlangt«, bemerkte er. »Ich werde Ihnen welches bringen«, erwiderte der Marquis. Er schloß sorgfältig die Tür und tappte im Dunkeln in den Salon hinunter, ergriff dort einen Leuchter, damit er selbst aus der Anrichtekammer eine Wasserkaraffe holen könne. »Nun, was gibt es?« fragte die Marquise lebhaft ihren Gatten. »Nichts, meine Liebe«, antwortete er kühl. »Aber wir haben es doch gehört, du hast eben jemanden nach oben gebracht...?« – »Hélène«, versetzte der General mit einem Blick auf seine Tochter, die den Kopf zu ihm erhob, »denke daran, daß die Ehre deines Vaters auf deiner Verschwiegenheit beruht. Du darfst nichts gehört haben.« Das junge Mädchen antwortete mit einem verstehenden Nicken. Die Marquise war völlig sprachlos und innerlich empört über die Art und Weise, wie ihr Mann es anstellte, sie zum Schweigen zu nötigen. Der General holte eine Karaffe, ein Glas und ging wieder in das Zimmer hinauf, wo sein Gefangener war; er fand ihn stehend, mit bloßem Kopf, neben dem Kamin an die Wand gelehnt; seinen Hut hatte er auf einen der beiden Stühle geworfen. Der Fremde war sicher nicht darauf gefaßt gewesen, so hell beleuchtet zu werden. Er runzelte die Stirn, und sein Gesicht zeigte Besorgnis, als seine Augen den durchbohrenden Blicken des Generals begegneten; aber er besänftigte sich und nahm eine freundliche Miene an, um seinem Beschützer zu danken. Nachdem dieser das Glas und die Karaffe auf den Kaminsims niedergesetzt hatte, warf ihm der Unbekannte noch einen flammenden Blick zu und brach dann das Schweigen. »Monsieur«, sagte er mit einer sanften Stimme, die nicht mehr die krampfhaften Kehllaute wie vorher hatte, aber noch von starker innerer Erregung zeugte, »ich muß Ihnen seltsam vorkommen. Entschuldigen Sie, was als Schrulle erscheint, aber notwendig ist. Wenn Sie dableiben, muß ich Sie bitten, mich nicht anzusehen, während ich trinke.«
Der General, dem es höchst widerwärtig war, dauernd einem Mann zu gehorchen, der ihm mißfiel, wandte sich brüsk um. Der Fremde zog aus seiner Tasche ein weißes Taschentuch, umwickelte sich damit die rechte Hand, ergriff dann die Karaffe und trank sie mit einem Zug aus. Ohne daß der Marquis daran gedacht hätte, seinen stillschweigenden Eid zu brechen, blickte er mechanisch in den Spiegel; nun aber, da die sich gegenüberhängenden Spiegel ihm das Bild des Unbekannten vollkommen wiedergaben, konnte er sehen, wie sieh das Taschentuch plötzlich durch die Berührung mit den beiden Händen, die voll Blut waren, rot färbte.
»Ah! Sie haben mich angesehen!« schrie der Mann, als er, nachdem er getrunken und sich in seinen Mantel gehüllt hatte, den General mit argwöhnischem Blick durchforschte; »ich bin verloren. Sie kommen, da sind sie!« – »Ich höre nichts«, sagte der Marquis. »Sie haben kein Interesse daran, wie ich, ins Dunkel hinauszuhorchen.« – »Haben Sie sich denn im Duell geschlagen, da Sie so mit Blut bedeckt sind?« fragte der General, der in heftige Erregung geriet, als er die Farbe der großen Flecken ausmachen konnte, von denen die Kleider des Gastes ganz durchtränkt waren. »Ja, Sie haben es erraten, ein Duell«, wiederholte der fremde Mann, und ein bitteres Lächeln glitt über seine Lippen.
In diesem Augenblick ertönte in der Ferne der Hufschlag mehrerer in scharfem Galopp heranjagender Pferde; doch das Geräusch war schwach wie das erste Heraufdämmern des Morgens. Das geübte Ohr des Generals erkannte an der Gangart, daß alle Pferde an die Zucht der Schwadron gewöhnt waren. »Das ist die Gendarmerie«, sagte er.
Er sah seinen Gefangenen in einer Weise an, die angetan war, die Zweifel, die seine ungewollte Indiskretion in jenem hatte wachrufen müssen, zu zerstreuen, ergriff das Licht und kehrte in den Salon zurück. Kaum hatte er den Schlüssel von dem oberen Zimmer auf den Kaminsims niedergelegt, als das Pferdegetrappel stärker wurde und sich mit einer Schnelligkeit, die den General erbeben ließ, dem Landhaus näherte. In der Tat hielten die Pferde vor der Haustür. Ein Reiter stieg ab, nachdem er einige Worte mit seinen Kameraden gewechselt hatte, klopfte ungestüm und zwang den General zu öffnen. Beim Anblick von sechs Gendarmen, deren silberbetreßte Hüte im Mondschein glänzten, konnte dieser die innere
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