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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Zimmer hinaufzugehen. Geh nun und wisse, daß es einer Tochter niemals zusteht, über ihre Mutter zu richten ...«
    Nachdem die Marquise diese letzten Worte mit der ganzen Strenge einer beleidigten Mutter hervorgebracht hatte, nahm sie den Schlüssel und reichte ihn Hélène, die sich, ohne ein Wort zu sagen, erhob und den Salon verließ.
    ›Meine Mutter wird immer seine Verzeihung zu erlangen wissen, aber ich werde in seinen Augen gesunken sein! Will sie mir denn das Herz meines Vaters rauben, mich aus seinem Hause jagen?‹
    Diese Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum, während sie im Dunkeln den langen Korridor durchschritt, an dessen Ende sich die Tür zu dem geheimnisvollen Zimmer befand. Als sie dort angelangt war, hatte der Wirrwarr in ihrem Kopf etwas unheilvoll Drohendes angenommen. Tausend bisher unterdrückte Gefühle drangen während dieser dunklen Überlegung aus ihrem Innern hervor. Wenn sie vielleicht schon nicht mehr an eine glückliche Zukunft glaubte, so verzweifelte sie in diesem schrecklichen Augenblick vollends am Leben. Sie zitterte krampfhaft, als sie den Schlüssel dem Schlosse näherte, und ihre Erregung steigerte sich derartig, daß sie einen Augenblick innehielt und die Hand auf das Herz preßte, als könne sie dadurch seine heftigen tiefen Schläge besänftigen. Endlich öffnete sie. Der Mörder schien das Kreischen der Türangeln überhört zu haben. Trotz seiner geschärften Sinne blieb er reglos und wie in Gedanken verloren fest an die Wand gedrückt stehen. Der Lichtkreis, der von der Laterne ausging, beleuchtete ihn schwach, und in dem Halbdunkel glich er jenen finstern Ritterstatuen, die in gotischen Kapellen immer in den Nischen auf einer schwarzen Gruft stehen. Auf seiner breiten, gelben Stirn perlte kalter Schweiß. Eine unerhörte Kühnheit strahlte von seinem qualvoll verzogenen Gesicht aus. Seine feurigen Augen schienen trocken und starr einem Kampf zuzusehen, der sich vor ihm im Dunkeln abspielte. Rebellische Gedanken jagten über sein Angesicht, dessen entschlossener, tapferer Ausdruck eine überlegene Natur verriet. Wuchs und Haltung seines Körpers standen im Einklang mit seinem wilden Wesen. Dieser Mann war ganz Macht und Kraft, und er faßte die Finsternis wie ein sichtbares Bild seiner Zukunft ins Auge. Der General, der an die willensstarken Riesengestalten gewöhnt war, die Napoleon umdrängt hatten, und der ganz von geistiger Neugierde befangen war, hatte den körperlichen Besonderheiten dieses außergewöhnlichen Mannes keine Beachtung geschenkt; aber Hélène, die, wie alle Frauen, für äußere Eindrücke empfänglich war, wurde gepackt von der Mischung aus Licht und Schatten, aus Großartigem und Leidenschaft, von einem poetischen Chaos, das dem Unbekannten das Aussehen Luzifers, der sich nach seinem Fall wieder erhebt, verlieh. Plötzlich legte sich wie durch einen Zauber der Sturm, der sich auf seinem Gesichte widergespiegelt hatte, und die unerklärliche Macht, deren Ursache und Wirkung vielleicht unbewußt der Fremde war, breitete sich um ihn herum mit der Gewalt einer reißend anwachsenden Überschwemmung aus. In dem Augenblick, da seine Züge sich glätteten, strömte seine Stirn eine Fülle geistigen Lebens aus. Teils von der seltsamen Begegnung, teils von dem Geheimnis, in das es eindrang, gefesselt, konnte das junge Mädchen nun ein sanftes, empfindsames Antlitz bewundern. Sie verharrte einige Zeit in einem wundersamen Schweigen, unter einem Ansturm von Gefühlen, die ihrer jungen Seele bislang unbekannt waren. Bald aber, sei es, daß eine Bewegung oder ein unwillkürlicher Ausruf Hélènes, sei es, daß die fremden Atemzüge den Mörder aus seiner Gedankenwelt in die Wirklichkeit zurückriefen, wandte er den Kopf der Tochter seines Gastgebers zu und bemerkte undeutlich im Schatten das himmlische Gesicht und die hoheitsvolle Gestalt eines Wesens, das er, da er es so starr und nebelhaft wie eine Erscheinung stehen sah, für einen Engel halten mußte. »Monsieur!« sagte Hélène mit zitternder Stimme. Der Mörder erbebte. »Eine Frau!« rief er leise; »ist es möglich? Entfernen Sie sich! Ich erkenne niemandem das Recht zu, mich zu beklagen, mich freizusprechen oder zu verdammen! Ich muß allein leben! Gehen Sie, mein Kind«, fügte er mir einer Herrschergebärde hinzu, »ich würde den Dienst, den mir der Herr dieses Hauses erweist, schlecht lohnen, wenn ich einen einzigen seiner Bewohner die gleiche Luft mit mir atmen ließe! Ich muß mich den Gesetzen

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