Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
eine Besessene auf ihn ein.
»Karen, bitte! Ich bin es. Lamin. Es passiert dir nichts.«
Er wusste nicht, wie lange seine Oberarme und seine Brust, dieses Bombardement
an Brutalität noch aushalten konnten.
Mit einem Mal waren Umberto und Andy neben ihm. Umberto
stürzte sich, gleich einem Sumo-Ringer, der jedoch nur ein Viertel des Gewichts
besaß, auf Karens Beine, erwischte aber nur das eine, während er sich mit dem
anderen einen Tritt ins Gesicht einfing.
Er stöhnte auf, taumelte zwei Schritte zurück und hielt sich
beide Hände vors Gesicht. Während Karen mit ihren Beinen weiterhin Tritte an
die Luft austeilte, als wäre diese verantwortlich für ihre Misere, gelang es
Andy und Lamin endlich ihre Arme zu packen.
»Wir müssen sie fixieren!«, rief Lamin zu niemandem
bestimmten.
»Wie denn?« Es war die Stimme von Jacqueline.
Lamin schossen Gedanken von Klebeband und dem Medical-Restraint-Kit
durch den Kopf, doch bis sie soweit gewesen wären, hätte Karen die Hälfte der
Mannschaft verstümmelt und die andere Hälfte bewusstlos geschlagen. »Bring mir
meinen Koffer – den gelben. Auf der Brücke!«, keuchte er, als hätte er soeben
den Olympus Mons in einer Rekordzeit und ohne Sauerstoff bezwungen. Er kniete
auf Karens linkem Arm, wurde aber das Gefühl nicht los, dass er schwebte. »Was
dauert da solange«, stieß er nach zehn Sekunden hervor, die ihm wie ein halbes
Marsjahr erschienen.
»Bin schon da«, klang Jacqueline gehetzt, als sie den Koffer
neben ihm abstellte.
»Aufmachen. Such die Ampulle mit dem Totenkopf drauf.« Seine
Arme zitterten, als er versuchte, das Handgelenk der Kommandantin nicht
loszulassen. An Andys Gesicht konnte er sehen, dass dieser sich mit Karens
rechter Hand keinen Deut leichter tat.
»Um Himmels willen, Lamin!«, stieß Nancy hervor. »Du darfst
sie nicht umbringen!«
Jacqueline hatte das Fläschchen mit dem Jolly-Roger Etikett mittlerweile
gefunden und hielt es zitternd in ihrer Hand, während ihr Blick von Nancy zu Lamin
und wieder zurück wanderte.
»Mach eine Spritze fertig!« Lamins Atem ging schwer und
schnell. Sein Gesicht war so rot wie das eines Krebses in der Mittagssonne auf
der Marsoberfläche. »Fünf Milliliter aufziehen! – Schnell!«
»Aber was, wenn …«
»Wenn du dich nicht endlich beeilst, werden wir noch alle
drauf gehen!« Lamin schrie und es klang, als hätte er dafür seine letzten
Kraftreserven motiviert.
Zitternd, mehr noch als zuvor, hielt ihm Jacqueline die
Injektion unter die Nase.
»Knie dich auf ihren Unterarm und halte ihre Hand mit beiden
Händen fest.«
Jacqueline tat, wie ihr geheißen, und wäre fast von Karens
Arm gerutscht, als diese versuchte, ihn unter ihr wegzuziehen.
»Fest! Mit beiden Händen, hab ich gesagt.« Flatternd tastete
Lamins rechte Hand nach Karens Vene. »Hier ist das gute Stück.«
»Lamin! Nein! Bist du verrückt?« Es war Nancy.
Doch noch bevor ihre Worte verhallt waren, hatte Lamin die
Nadel schon in der Vene seiner Patientin und drückte die Flüssigkeit mit aller
Kraft hinein. Karen versuchte noch einmal ihre Arme frei zu bekommen, doch es
gelang ihr nicht. Ihre Beine, die eben noch zerstörerisch um sich getreten
hatten, fingen an zu zappeln, um gleich darauf müde und kraftlos auf die Matratze
zu sinken. Es war vorbei. Der Kampf war ausgestanden.
Als Lamin die Kabine verließ, um in den Waschraum seiner
Kammer zu gehen, sah er Catherine im Schatten hinter Karens Tür sitzen, ihre
Knie bis ans Kinn gezogen, die Arme um ihre Beine geschlungen und er hörte, wie
sie schluchzte. »Mörder«, sagte sie kaum vernehmbar. Gleich darauf schrie sie
aus voller Lunge: »Du bist ein beschissener Mörder!«
Lamin tat, als hätte er es nicht gehört. Mit der
desinfizierenden Waschlotion reinigte er sein Gesicht, seine Hände und suchte
seine Arme und seinen Oberkörper nach ernsthaften Verletzungen ab. Morgen,
spätestens übermorgen würden sie jedenfalls unübersehbar sein, seine blauen und
violetten Flecken. Male, die er sich bei dem Kampf mit seiner Kommandantin ehrlich
erworben hatte. Rasch fischte er ein sauberes Shirt aus seinem Spind, zog es über
und ging zu den anderen in die Messe. Doch da war niemand.
Als er Karens Kabine betrat, wehte ihm die eisige Kälte
einer Gruft entgegen. Er wusste, alles was er jetzt zu sagen hatte, musste
schnell und ohne jegliches Aufheben vor sich gehen, sonst wäre sein Leben
ernsthaft in Gefahr. Mit dem seriösen Gesichtsausdruck und der emotionslosen
Stimme des
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