Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
noch weiter anheizen. Wenn die Situation eskalierte,
hier am Ende der Welt, auf einer anderen Welt, um ganz präzise zu sein, dann könnte
dies einen Hexenkessel zur Detonation bringen, und niemand könnte mit
Sicherheit sagen, was danach passieren würde.
»Nichts Konkretes«, antwortete Catherine. »Es war nur so
eine Vermutung von mir.«
»Du und deine Vermutungen!« Jacqueline schien sich zu amüsieren.
»Ich meine, es gab eine Auswahlkommission, ein
zertifiziertes Auswahl- und Bewertungsverfahren, und dann – in der
sprichwörtlichen letzten Sekunde – kommen die, die … diese Schweine drauf,
einen Fehler gemacht zu haben?«
»Schweine wie diese machen nur Fehler«, schimpfte Umberto, »darum
sind sie ja auch so gut bezahlt, um mit dem Geld, das sie zwar bekommen, aber nicht
wirklich verdient haben, ihre Fehler kompostieren zu können.«
»Kompensieren, mein lieber Umberto, heißt es.«
»Was mischst du dich immer ein, Jacqueline, wenn du doch weißt,
was ich meine.«
»Es ist in der Tat bedenklich«, sagte sie, »dass, sollte
irgendetwas gegen Karen gesprochen haben, das nicht früher aufgetaucht ist bzw.
gefunden wurde. Die Frage, die sich für mich noch stellt, ist, wird man uns in
dieser Sache jemals die Wahrheit sagen? Werden wir jemals alle Hintergrundinformationen
kennen? Werden wir jemals erfahren, was wirklich hinter dieser Sache steckt?«
»Wer«, sagte Umberto. »Ich vermute es heißt ›wer‹ wirklich
dahintersteckt.«
Niemand reagierte auf den verbalen Seitenhieb, der
Jacqueline treffen sollte. Lamins Falten auf seiner Stirn hatten sich noch
tiefer in die Haut gekerbt als gewöhnlich. »Oder sind wir nur die
sprichwörtlichen Marionetten, die ausschließlich und ohne zu denken das tun
dürfen, was andere für uns vorgesehen haben?«
Umbertos Augen funkelten, als
würden sie jeden Augenblick tödliche Strahlen aussenden, um die Flugleitung
samt Präsidenten damit zu verdampfen. Die Gesichter der anderen waren lang und
fahl. Trotz ihres Erfolges und des soeben erlebten Hochgefühls wollte sich
keine Stimmung breitmachen, die diesem Umstand gerecht geworden wäre. Der
sterile Geruch nach Metall und Kunststoff in der Zentrale enthielt plötzlich
eine Spur von Schweiß, und Lamin hätte schwören können, dass die Konzentration
an Testosteron, die in der Luft hing, schon an der Grenze zur Gewalttätigkeit stand.
Die letzte Nachricht, die innerhalb dieser vierundzwanzig
Stunden auf der Mars One eintraf, enthielt keinerlei neue Information, keine
Erklärungen, keine beruhigenden, schon gar keine aufmunternden Worte. Die
Leitstelle hüllte sich in Schweigen und fuhr fort, als hätte es den Zwischenfall
nie gegeben. Dr. Berger schickte in seinem Bericht nur Karens Krankmeldung zur
Erde. Begründung: Überanstrengung beim Außeneinsatz. Dienstunfähigkeit einen
Tag.
Er und die Crew waren gerade im Begriff ihr Abendessen, das
ohnehin niemandem wirklich geschmeckt hatte, zu beenden, als Schreie aus Karens
Kabine drangen. Lamin stellten sich die Haare an seinen Unterarmen auf, eine
Gänsehaut zeigte sich in seinem Nacken und er mutmaßte, ob sein Blut noch
zirkulierte oder ob es aufgrund dieses Lauts, den er bisher nur aus Horrorfilmen
kannte, schon gefroren war. Noch nie, und bei der Unzahl von Dingen, die er schon
gesehen und erlebt hatte, mochte das wirklich etwas heißen, hatte er Schreie
wie diese gehört; Schreie, die nicht von einem Menschen zu stammen schienen,
Schreie, die keinerlei Gefühl mehr enthielten, Schreie, für die Lamin nur noch ein
Wort fand – Wahnsinn. Sofort rannte er zu ihrer Kammer, die anderen dicht
hinter ihm. Als er die Tür aufriss, saß Karen mit weitaufgerissen, hohlen Augen
auf ihrem Bett, schrie, als hätte es ihr Körper nicht nötig von Zeit zu Zeit
einmal Luft zu holen, hämmerte mit ihren Fäusten gegen die Wand, gegen den
Tisch, gegen alles, was sich in ihrer Reichweite befand. Brutal und hemmungslos
ließ sie ihre Fäuste niederrasen, bis ihre Haut aufplatzte. Noch ehe Lamin,
schockiert von dem Anblick, den seine Kommandantin bot, bei ihr war, war
überall Blut. Er versuchte nach ihren Armen zu fassen, was sich nicht gerade
als einfach erwies. Damit machte er sich zur Zielscheibe ihrer Aggressionen.
Schmerzverzerrt war sein Gesicht, als er versuchte, ihre Schläge und Fußtritte zu
parieren und ihre Arme zu packen. »Karen!«, rief er mehrmals, »beruhige dich
doch. Karen, ruhig.«
Als müsse sie ihn für jedes Wort, das er sagte, bestrafen, trat
sie wie
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