DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Xiaoping. Mao, der seiner Frau blind vertraut, sorgt dafür, dass Deng alle Machtpositionen abgeben muss.
Jiang verbringt nun wieder mehr Zeit in ihrer alten Wohnung gleich neben den Gemächern Maos. Der Große Vorsitzende nämlich ist schwer krank und verlässt kaum mehr seine Räume. Dies stärkt Jiangs Einfluss noch. Sie isoliert Mao immer mehr von seinen Beratern. Sie lässt alle Telefone abhören und überprüft jedes Dokument, das ihm vorgelegt wird. Die Übersetzer, deren Nase ihr nicht passt, lässt sie schnellstens auswechseln.
Da Zhou Enlai tot ist und Deng Xiaoping unter Hausarrest steht, sieht Jiang Qing sich in ihrem Anspruch auf die Nachfolge Maos bestärkt. Und das Gedicht, das Mao im Sommer 1976 verfasst, scheint ihr recht zu geben: „Man hat dich schlecht behandelt. Heute werden wir in zwei verschiedene Welten gehen. Mögen beide friedvoll sein. In den Kämpfen der letzten zehn Jahre habe ich versucht, den Gipfel der Revolution zu erklimmen, doch dies ist mir nicht gelungen. Du aber, du könntest den Gipfel erreichen.“ [38] Nun kann nichts mehr Jiang Qing aufhalten.
Als Mao am 9. September 1976 das Zeitliche segnet, scheint Jiang Qing im Ringen um die Nachfolge bestens positioniert. Zwei Rivalen allerdings hat sie: Hua Guofeng, der von Mao zum eigentlichen Nachfolger ernannt wurde, und Deng Xiaoping, der zwar offiziell in Ungnade gefallen ist, sich aber der Unterstützung des Militärs sicher sein kann. Ihr erster Schachzug ist es, Hua Guofeng zu einem Gespräch zu bitten. Sie fordert ihn auf, das Zentralkomitee des Politbüros einzuberufen, um Deng Xiaoping aus der Kommunistischen Partei auszuschließen. Hua lehnt ab. Der Krieg ist erklärt. Jiang lässt heimlich ihren Neffen rufen, Mao Yuanxin. Dieser beruft 10.000 Soldaten aus dem Nordosten nach Peking.
Doch auch die andere Seite rüstet zum Kampf: Hua Guofeng und Deng Xiaoping mobilisieren ihrerseits ihre Anhänger. Eine Infanterieeinheit und zwei Panzerdivisionen nehmen entlang der Großen Mauer Aufstellung, eine andere marschiert in der Pekinger Vorstadt auf. Ein Staatsstreich braut sich zusammen, genauer gesagt: zwei. Die Frage ist nur, wer als Erster zuschlägt.
Am Abend des 6. Oktober 1976 wird Jiang Qing verhaftet. Ihre engsten Mitarbeiter wurden bereits eine Stunde zuvor ins Gefängnis gesteckt. Die Reaktion des Volkes lässt nicht auf sich warten. Eine Flut von Karikaturen überschwemmt die Stadt – Jiang Qings Name, doch nicht etwa kalligrafiert, sondern mit Skelettknochen geschrieben. Die zweiundsechzigjährige Witwe Maos wird als Hexe dargestellt, die allen die Zunge herausstreckt. Mit der linken Hand würgt sie die Wahrheit, mit der rechten bietet sie Lügen feil. Eine andere Karikatur zeigt sie als verführerische Meerjungfrau vor einem Spiegel, ihre Lippen zu einem besonderen Liebesdienst am Gemächt der Staatsgewalt geöffnet. Die Menschen demonstrieren auf den Straßen Pekings und rufen immer wieder: „Zehntausend Messerstiche für Jiang Qing.“
1980 wird der Prozess gegen die „Verräterin“ eröffnet. Während der Verhandlung wird sie mehr als einmal ausfällig. Als der Richter sie beispielsweise zur Verhaftung von Liu Shaoqi und Wang Guangmei befragt, bricht sie in eine Hasstirade gegen die beiden aus, die beweisen soll, dass deren Festnahme sehr wohl gerechtfertigt war. Mittendrin hält sie inne und bittet, zur Toilette gehen zu dürfen. Dann verschließt sie sich hinter der Tür und kommt nach einer Viertelstunde immer noch nicht zum Vorschein. Die Gerichtsbeamtin, die sie begleitet, sorgt sich: Sollte sie etwa einen Selbstmordversuch unternehmen? Schließlich verlässt Jiang Qing doch noch die Kabine und lässt sich, ohne große Eile an den Tag zu legen, zurück zu ihrem Platz führen [39] .
Da dieser Einwurf ihr auch noch die Aufmerksamkeit der letzten Reihe im Gerichtssaal sichert, schleudert sie dem Vorsitzenden Richter entgegen: „Warum schneidest du mir dauernd das Wort ab? Gib doch zu, dass du mir eigentlich den Kopf abschneiden möchtest.“
Ihre Verteidigung fällt nicht weniger verblüffend aus:
„Ich habe nie ein eigenes Programm verfolgt. Ich habe immer nur die Entscheidungen und Beschlüsse des Zentralkomitees der Partei umgesetzt. Ich habe stets nur die proletarisch-revolutionäre Linie des Präsidenten Mao verfolgt. […] Sie suchen am falschen Ort! […] Sie verwechseln Mörder und Opfer! Das Opfer aber, das Sie als Mörderin hinstellen, war achtunddreißig Jahre lang die Ehefrau von
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