DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Benito behaupten, er habe Rachele nur verführt, weil man ihn daran zu hindern versucht habe: „Und je mehr man dir etwas verbieten will, umso stärker willst du es.“ Der Kassensturz des jungen Paares nimmt nicht viel Zeit in Anspruch: Sie besitzen schlicht nichts. Sie beschließen, ins Hotel zu gehen. Auf dem Weg dorthin werden sie schon irgendjemanden treffen, den sie anpumpen können! Und so machen sie sich zusammen auf den Weg nach Forli: sie nachlässig gekleidet und ohne Hut, er in einem hellen Überzieher. Tatsächlich finden sie eine Herberge und einen guten Samariter, der für das Zimmer für sie bezahlt. Dies ist die erste Nacht, die sie zusammen verbringen. Der Nachtschlaf allerdings wurde empfindlich gestört: „Gegen drei Uhr morgens weckte meine Frau mich auf: ‚Benito, hast du nicht das Gefühl, dass in dem Bett etwas komisch ist?‘ ‚Mach das Licht an!‘, befahl ich ihr. Wir sahen uns im Bett um und entdeckten riesengroße Wanzen. Da die Wanzen nur auf ihrer Seite waren, kreischte sie wie besessen. Ich hatte keine Wanzen, aber ich konnte trotzdem nicht schlafen, weil sie so laut schrie.“
Das Erlebnis mit dem Ungeziefer jedenfalls bewegt das Paar zu einem entscheidenden Schritt: Die beiden wollen miteinander leben. Doch ein militanter Sozialist, der Benito damals ja noch war, kann sich den bürgerlichen Konventionen natürlich nicht so einfach beugen. Eine Ehe kommt für Benito nicht infrage. Er will mit Rachele einfach so zusammenleben, ohne Segen, ohne Vertrag.
Schon bei der allerersten Begegnung wurde die Art ihrer Beziehung festgeschrieben: fleischlich und reichlich brutal. Rachele ging bei Benitos Mutter, Rosa Maltoni, zur Schule. Das Mädchen war mit elf Jahren eine unruhige Schülerin. Wenn die Lehrerin krank ist, springt ihr Sohn für sie ein, der damals achtzehnjährige Benito. Wieder einmal macht die Kleine Unfug. Sie sieht das niedersausende Lineal nicht, das ihre Finger trifft. „Zwischen Zorn und Tränen drückte ich meine Finger an den Mund. Da sah ich diese großen schwarzen Augen, aus denen mich der Strahl einer Willenskraft traf, die größer war als die meine: Ich hörte zwar nicht, was er sagte, doch ich beruhigte mich sofort.“ Später wird sie diese Augen „phosphoreszierend“ nennen.
Sieben Jahre lang sollte das Mädchen den jungen Lehrer, von dem sie nichts mehr hörte, nicht aus ihrem Gedächtnis verbannen können. 1908 arbeitet sie auf einem Bauernhof in der Nähe von Forli. Eine Zigeunerin sagt ihr die Zukunft vorher: „Du wirst die größten Ehren erfahren. Du wirst behandelt werden wie eine Königin. Dann aber bricht alles unter dir zusammen, und die Trauer hält Einzug in Dein Leben.“ Die Zigeunerin drückt ihr einen kleinen Stein in die Hand: „Behalt ihn. Aber ich könnte einen Sack Mehl gebrauchen.“ Die entzückte Rachele gab der Frau natürlich, was sie wünschte. Doch der Bauer war nicht so ganz begeistert davon, dass er das Entgelt für diesen Blick in die Zukunft entrichten sollte, und bestrafte sie hart. Ein paar Tage später rief ihr jemand nach, als sie gerade aus der Kirche kam: Benito, der junge Lehrer. Er trug einen abgetragenen schwarzen Anzug, einen weißen Schal und einen ebenso abgewetzten schwarzen Hut. Seine Lippen zierte ein langer Schnurrbart. Rachele aber „sah vor allem seine Augen, die größer schienen als damals, mit demselben Leuchten darin.“ Das später sprichwörtliche Redetalent Mussolinis schien zu jener Zeit noch wenig ausgeprägt: „Hallo, Chiletta, du bist ja ganz schön groß geworden. Du bist jetzt ja ein richtiges Fräulein.“
Diese etwas plumpen Worte sollten der Beginn ihrer langjährigen Beziehung werden. Die jungen Leute sahen sich immer öfter. Im Frühjahr 1908 schlägt Benito dem Mädchen dann vor, im Gasthof seines Vaters zu arbeiten. Sie antwortet nur lakonisch: „Mal sehen.“ Doch schon am nächsten Tag stellt sie sich bei Alessandro Mussolini vor, der sie sofort einstellt.
Am Abend vor Benitos Abreise nach Trient im Februar 1909 fließt der Wein im Gasthof in Strömen. Unter den schluchzenden Tönen der Geigen macht Benito der jungen Frau ein seltsames Versprechen: „Morgen fahre ich ab, doch wenn ich wiederkomme, wirst du meine Frau. Du musst auf mich warten.“ Sie glaubt, er mache Witze, daher entgegnet sie: „Und wenn du nicht wiederkommst?“ Er aber antwortet ihr in feierlichem Ton: „Du wirst schon sehen, dass ich wiederkomme.“ Das war kein Vorschlag, kein Projekt, das vielleicht
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