DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
der Herbst dieser zwei Jahre steter Leidenschaft. Bis dahin war Clara blind für die politische Dimension ihrer Beziehung. Nun aber merkt sie, dass ihr Liebhaber sich gewandelt hat: Er bezieht Stellung gegen die Juden. Hitler hat auf Mussolini tiefen Eindruck gemacht, und so fängt er an, Rassengesetze auszuarbeiten. „Mit der Sarfatti […] bin ich schon beim zweiten Mal nicht gekommen. Ich konnte nicht, weil ihr Körper so einen abstoßenden Geruch verströmt. […] Sie nutzen uns aus, verabscheuen uns. Sie kennen keine Heimat und keinen Gott. Heute sind sie Polen, morgen Türken oder Franzosen. Sie hängen ihr Fähnchen nach dem Wind und stehen dir ständig auf den Hacken. Es ist eine verfluchte Rasse. […] Ich werde ihnen nichts tun, aber sie müssen von uns getrennt leben wie Fremde.“
Nur einen Monat später ist der Ton umgeschlagen: „Ah! Diese Juden! Ich werde sie alle vernichten. […] Das sind so richtige Schweine … Ich werde sie alle, alle töten“, vertraut er Clara an. Diese widerspricht zum ersten und auch zum letzten Mal dem „Duce“: „Das wäre der größte Fehler, den du machen kannst.“ Die Radikalisierung des Judenhasses ist nämlich bei Weitem nicht die einzige Veränderung, die mit ihm vorgeht. Innerhalb eines Monats verdüstert sich Benitos Weltsicht zusehends.
Er ist nicht mehr der starke Löwe in seinen besten Jahren, sondern beginnt, gegen das Alter anzukämpfen, vergeblich: „Du bist jung, du wirst mich verlassen. […] Ich werde alt, du wirst dann noch jung sein. Irgendwann wirst du dir sagen: ‚Ich habe ihm meine Jugend geschenkt.‘ Und du wirst die Mätresse eines jugendlichen Liebhabers mit vollem Haar und unbändiger Kraft. Und du wirst dir sagen: ‚Tut mir leid, Liebling, aber ich muss den alten Mann besuchen. Aber das ist nicht weiter schlimm, mittlerweile hat er keine Ansprüche mehr. Er ist langweilig, ich weiß, aber ich liebe doch nur dich.‘ Und dann wirst du mich zwar weiterhin besuchen, aber du wirst mich abstoßend finden.“
Nachts hält ihn sein Unbewusstes in den Fängen. Er hat Albträume. Immer wieder erlebt er im Traum, dass man ihn tötet. „Jemand schießt auf mich. Zwei Schüsse, pam, pam. Einen in den Kopf, einen in den Rücken. Ich sinke über der Kühlerhaube zusammen. Ich spüre die Einschläge im Körper. Was glaubst du, was das heißt?“
Die Schlaflosigkeit zehrt an den Nerven des Mannes, der früher ein Bonvivant, ein Genießer war. Tag für Tag macht er Clara üble Szenen: „Warum ziehst du einen Flunsch, hmm? Ich habe keine andere. Es stimmt schon, wenn ich es wollte, würde ich es tun, aber ich will es nicht.“ Er explodiert, traktiert einen Stuhl mit den Fäusten, einen Stapel Zeitungen mit Fußtritten. Ernüchtert sieht Clara zu, wie es ihn innerlich fast zerreißt: „Ich versuche vergeblich, ihn zu beruhigen, aber er ist wie eine Furie und kennt keine Grenzen mehr. Er macht mir Angst, ich breche in Tränen aus.“ Sie fährt nach Hause. Pünktlich um 21 Uhr ruft Benito an, um seinen Auftritt fortzusetzen: „Was willst du von mir? Das kann nicht mehr so weitergehen. Das ist doch keine Liebe mehr, das ist reines Gift. Ich bin müde. Wenn ich das nächste Mal so einen Ausbruch habe, darfst du nicht mehr kommen. Ja, ich weiß, du hast mir nichts getan. Aber ich bin nach zwanzig Uhr immer völlig mit den Nerven fertig. Du darfst dann nur lächeln. […] Du musst netter zu mir sein, zärtlicher, liebenswürdiger. Ich kann so nicht mehr leben.“
Während das Jahr 1938 seinem Ende zugeht, gleitet „Ben“ in eine tiefe Depression. „Über mich hat sich eine grenzenlose Traurigkeit gelegt. Ich fühle mich, als wäre ich schon tot“, vertraut er ihr an. Nichts dringt mehr zu ihm durch. In diesem Abgrund ist Clara die Einzige, die ihn noch erreicht. Nur sie hat Zugang zu seinen verschütteten Gefühlen. Auch sie altert, vorzeitig vermutlich. „Ich freue mich, dass auch du schon weiße Haare hast. So liebe ich dich noch mehr“, sagt er zu ihr.
Als sie eines Nachmittags beieinander sitzen, spielt man im Radio La Bohème . Er hat Tränen in den Augen und wendet sich von Clara ab. Clara geht zu ihm hinüber. Er tut, als lese er Zeitung. Als er sieht, dass sie ihn betrachtet, wendet er ihr das Gesicht zu. Sie sieht, wie dicke Tränen über seine Wangen rinnen. „Ich nahm ihn in den Arm, und wir weinten zusammen.“
Vom Hochzeits- zum Trauermarsch
Palazzo Venezia, Tierkreis-Zimmer, spätes Frühjahr 1939. Nur wenige Wochen trennen
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