DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
dem Gipfel seiner Popularität angekommen ist, hat Clara den Eindruck, das Vertrauen eines Giganten zu genießen. Im Oktober 1937 wird der fünfzehnte Jahrestag des Marsches auf Rom gefeiert. Clara sieht Benito wie elektrisiert von der Menge, die ihn vor dem Palazzo feiert, und ist sich seiner sicherer denn je zuvor. Er zeigt ihr ein Foto, das ein Amerikaner aufgenommen hat: „Sieh nur. Dieses energische Kinn, willensstark! Ich verstehe wirklich, dass eine Frau sich in solch einen Mann verlieben muss und dass sie mit seinem Foto unter dem Kopfkissen schläft, wie du es tust. Es ist keine Eitelkeit, wenn ich sage, dass dies wahre Schönheit ist. Diese Nase! Dieser Mund! Sag, eine Frau muss sich doch einfach in solch einen Mann verlieben?“
Clara gehorcht: „Ich liebe dich doch.“
„Nicht du, eine andere Frau.“
„Ich liebe dich. Und ich glaube, alle Frauen könnten dich lieben.“
„Versteck dich in der Ecke. Ich muss ans Fenster.“
Er ruft Quinto Navarra, seinen Hausmeister, damit er das Fenster öffnet. Die Schreie auf dem Platz werden immer lauter, die Menge zollt ihm Beifall. Hüte werden in die Höhe geschleudert, Taschentücher geschwungen. Die Gesichter strahlen. Als er das Fenster schließen lässt, ist er beruhigt. Clara aber bebt vor Erregung. Die Begeisterung der Menge ergreift ihr innerstes Wesen. Ihr ist ganz schwindlig. Noch nie war ihr so bewusst, dass sie mit dem mächtigsten Mann Italiens, ja vielleicht ganz Europas, zusammen ist. „Komm an meine mächtige Brust, dränge dich an deinen Giganten, meine kleine große Liebe. […] Ich bin dein Adler, der dich unter seinen Fittichen birgt und schützt.“
Doch natürlich genügen Worte Mussolini nicht, wenn es um Liebesbeweise geht. Für ihn ist wahre Liebe etwas anderes: „Denkst du denn wirklich dauernd an mich? Jede Stunde, jede Sekunde? Auch wenn du Pipi machst?“ Ohnehin scheint für ihn Liebe auf seltsame Weise mit dem Urinieren verquickt zu sein. „Außerhalb der Politik brauche ich eine Frau, die mir sagt, was ich tun soll. Eine, die sagt: ‚Jetzt iss, zieh dir etwas Warmes an, trink, geh Pipi machen.‘ Sonst vergesse ich nämlich, Pipi zu machen, und ich trage es zwei, drei Stunden mit mir herum.“ Der faschistische Führer Italiens will gerade dorthin begleitet werden, wo sonst jeder allein hingeht. „Ich denke dauernd an dich. Wenn ich zum Beispiel nachts aufstehe und runtergehe, um Pipi zu machen, und ich im Halbschlaf dann daneben pinkle, denke ich plötzlich: ‚Ach, wenn sie jetzt auch hier wäre und auch müsste, das wäre doch nett.‘“
Für Clara wäre der einzige echte Liebesbeweis aber seine Treue. Mussolini hatte sie von Anfang an gewarnt: „Wie viele Frauen ich hatte? Anfangs, als ich in Rom weilte, war das im Hotel ein einziges Kommen und Gehen. Ich hatte vier Frauen am Tag.“ Am 12. Mai 1938, als Clara in den Palazzo kommt, findet sie dort den braunen Gürtel einer Frau. Kein Kommentar, kein Weinen, keine Fragen. Sie sieht ihn nur direkt an. Benito versucht, sich durch ungeschicktes Lügen aus der Affäre zu ziehen: „Ich weiß nicht, was das sein soll. Wahrscheinlich hat ihn jemand absichtlich dahingelegt.“ Doch unter ihrem stetigen Blick ändert er seine Taktik: „Wenn du nicht um meinetwillen so viel gelitten hättest, hätte ich es wahrscheinlich nie geschafft, nur dir zu gehören. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, nur eine Frau zu haben. Es gab Zeiten, da hatte ich vierzehn Mätressen und nahm sie eine nach der anderen. […] Nur damit du dir eine Vorstellung von meiner Sexualität machen kannst. Ich habe keine je geliebt, sondern sie nur um des Vergnügens willen genommen. Wenn du nicht so hartnäckig gewesen wärst und so viel erduldet hättest, wärst du immer noch eine unter vielen, selbst wenn ich dich geliebt hätte.“
Claras unerschütterliche Liebe hat den alten Löwen gezähmt. Sie hat alles, was sie sich je erträumt hat. Das Glück und die alleinige Liebe des „Duce“ scheinen in greifbare Nähe gerückt. Doch die Gespenster des „Duce“ holen auch sie ein. „Ich trage zwei Seelen in meiner Brust“, vertraut er ihr eines Tages an, „und die zweite ist schlecht.“ Eifersüchtig und besitzergreifend, wie er ist, unterzieht er sie ständigen Verhören, bis er sie zum Weinen gebracht hat. Denn seine Liebe ist vor allem eines: Gewalt – für den, der sie empfindet, wie für den, dem sie gilt. „Ich liebe dich zum Verrücktwerden … ich möchte dich verwüsten, dir
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