Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Valdemars Krankheit getan hatte. Sie hatte ihr Untersuchungsergebnisse vorenthalten, bagatellisiert, beschönigt. Vanja hatte immer direkt zu ihrem Vater gehen müssen, um zu erfahren, wie es wirklich um ihn stand. Wenn Anna sie wieder einmal angelogen hatte, hatte er ihr alles erzählt. Vanja hatte diese Art überhaupt nicht gefallen. Natürlich hatte Anna sicher nur versucht, ihre Tochter zu schonen, doch was auch immer die Motive ihrer Mutter gewesen waren, so hatten Annas Lügen sie und Vanja in dieser Zeit einander nicht gerade nähergebracht. Dabei hatte es schon vorher eine gewisse Distanz zwischen ihnen gegeben. Ihre Mutter nannte Vanja Anna, Valdemar dagegen Papa. Das war kein Zufall.
Irgendwann musste Vanja dieses Thema Anna gegenüber wohl einmal ansprechen. Dass ihr all die Lügen nicht gefielen. Am Telefon hätte sie am liebsten spontan gesagt, dass sie zu Oma mitfahren wollte, aber sie konnte sich nicht freinehmen. Nicht jetzt. Sie konnte nicht einfach von der Arbeit wegbleiben, wenn sie seit über einem Monat keinerlei Ergebnisse zustande gebracht hatten. Wobei: Etwas hatten sie doch herausgefunden, nämlich die Verbindung zu Hinde. Aber nicht sie durfte dieser Spur nachgehen, sondern Sebastian. Das hatte Torkel so entschieden.
Verdammter Torkel.
Verdammter Sebastian.
Sie hatte den Fernseher ausgeschaltet und war hinausgegangen. Eigentlich hatte sie nur einen Spaziergang machen wollen. Frische Luft schnappen, auf andere Gedanken kommen, müde werden. Aber dann war sie an der nächsten Kneipe vorbeigekommen und hineingegangen. Hatte erst ein Bier getrunken, dann noch eins und noch eins. Einige Typen hatten sich zu ihr gesellt, und sie waren gemeinsam weitergezogen und hatten Leute getroffen, die sie kannte. Hatten noch mehr Bier getrunken. Irgendwann hatte irgendjemand Schnäpse bestellt, möglicherweise sogar sie selbst. Für einen kurzen Moment hatte sie überlegt, einen der Typen mit nach Hause zu nehmen, es sich am Ende aber doch anders überlegt. Trotzdem war sie nicht vor zwei oder sogar ein Weilchen später ins Bett gekommen. Angeheitert – oder sogar ziemlich betrunken. Das sah ihr ganz und gar nicht ähnlich. Der Wecker klingelte zur üblichen Zeit. Und jetzt, nach vier Stunden alkoholbetäubtem Schlaf, war sie wieder im Präsidium. Eher wütend als verkatert, dennoch war die Kombination nicht gerade optimal.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Begann nach Rodriguez zu recherchieren. Fand ihn, aber nirgends eine Information darüber, wann und wo er den Autounfall gehabt hatte, infolge dessen er gelähmt war. Sie musste weitersuchen. Aber erst hatte sie dringend einen Kaffee nötig. Das Koffein in Kombination mit einer Kopfschmerztablette würde hoffentlich Wunder bewirken. Sie ging in den Pausenraum, nahm einen Kaffeebecher aus dem Schrank über der Spüle und füllte ihn mit Cappuccino, ehe sie wieder zu ihrem Platz zurückging. Sie öffnete die oberste Schublade, nahm eine Packung Ibuprofen heraus und spülte eine Tablette mit einem kleinen Schluck Kaffee herunter. Sie wollte gerade ihre Recherche wieder aufnehmen, als Billy hereinkam. Er hatte sich seine Schultertasche schräg umgehängt und hielt seinen Fahrradhelm in der Hand. Billy besaß ein Fahrrad mit vierundzwanzig Gängen, das aus dem gleichen Material hergestellt war wie irgendeine Raumfähre. Alles Hightech natürlich. Vanja hatte nur eine Drei-Gang-Schaltung und benutzte ihr Fahrrad nie.
«Hallo, wie steht’s?», begrüßte Billy sie, während er sich die Tasche abstreifte.
«Gut», antworte Vanja, ohne aufzusehen. Sie tat ihr Bestes, so konzentriert wie möglich auszusehen, um weiterer Konversation aus dem Weg zu gehen, doch es half nichts.
«Was machst du gerade?», fragte Billy und kam um ihren Schreibtisch herum, um zu gucken. Erst jetzt sah sie, wie heiß ihm war. Der Schweiß lief seine Wangen und seinen Hals herunter. Er beugte sich zur Seite und wischte sich das Gesicht am Ärmel seines T-Shirts trocken.
«Ich versuche herauszufinden, wie Rodriguez im Rollstuhl gelandet ist.»
Billy spürte, wie es ihm einen Stich versetzte. Eigentlich hatte er nämlich vorgehabt, den Tag mit der Recherche nach den Informationen zu beginnen, die sie brauchte – aber leider war Vanja schon vor ihm da. My fand zwar, dass er sich gestern hervorragend geschlagen hatte. Aber so gut es auch war, ab und zu ein Machtwort zu sprechen und dafür zu sorgen, dass seine Hilfe nicht mehr ständig als gegeben
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