Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
auch dieser Umstand nicht gerade das Adrenalin in die Höhe. Denn in Anbetracht der Wärme war keine Eile geboten, um das Kind vor Unterkühlung zu retten. Blieben noch Steinbrüche und Seen. Daran hatte Jennifer sofort gedacht, als sie das Grundstück der Eltern gesehen hatte. Der Junge konnte zum See gelaufen und hineingestolpert sein, aber die Familie hatte weder einen Badesteg, noch gab es hier eine Strömung, sodass der Junge noch im flachen Wasser liegen müsste, falls er ertrunken wäre.
Jennifer bekam ein Suchgebiet zugeteilt. Etwa einen Kilometer weit entfernt. Ein kleiner Waldweg auf der anderen Seite der großen Straße. Sie schöpfte erneut etwas Hoffnung. Den Gedanken an ein von langer Hand geplantes Kidnapping hatte sie sich aus dem Kopf geschlagen. Obwohl sie dieses große Haus mit Seeblick besaßen, schienen die Eltern nicht gerade im Geld zu schwimmen. Aber eine zufällige Entführung an der großen Straße? Ein kleiner Junge am Wegesrand. Ein Sittenstrolch, ein Pädophiler?
Natürlich wünschte sie dem Jungen auf keinen Fall etwas Böses oder gar den Tod. Sie hoffte wirklich nicht, dass ihm etwas Ernstes zugestoßen war, aber ein bisschen Aufregung, ein wenig Spannung wäre gut. Die Nachricht von einem verdächtigen Auto erhalten, es suchen, einkreisen, finden, zuschlagen, den Täter verhaften …
Deshalb war sie Polizistin geworden. Nicht um in der Sommerwärme Waldspaziergänge zu unternehmen und nach einem Jungen zu suchen, der Spaß an einem nächtlichen Picknick gehabt hatte. Da hätte sie auch gleich Kindergärtnerin werden können. Na gut, das war vielleicht ungerecht, im Kindergarten gingen schließlich keine Kinder verloren. Jedenfalls nicht so oft, aber das Prinzip war dasselbe.
Sie lief den kleinen Waldweg entlang. Auf der Karte sah es so aus, als endete er an einer Art Kiesgrube. Vielleicht war Lukas unter dem Kies verschüttet. War auf einen der Kieshügel geklettert, bis der Untergrund nachgegeben hatte und er hinabgerutscht war. Und je mehr er gestrampelt hatte, desto tiefer war er zwischen den Steinchen versunken. War so etwas in einer Kiesgrube überhaupt möglich? Sie wusste es nicht. Aber allein der Gedanke daran, wie sie heroisch die kleine Jungenhand packte, die am Rand der gewaltigen Kiesgrube herausragte. Wie sie hinrannte und den Jungen herauszog, seinen Mund von Kies säuberte und ihm wieder Leben einhauchte, während ihre Kollegen sich näherten … Allein dieser Gedanke ließ sie größere Schritte machen. Hin und wieder warf sie zerstreute Blicke zwischen die Bäume. Die Eltern vermuteten, dass er blaue Baumwollhosen, ein gelbes T-Shirt und darüber ein blaukariertes Hemd trug. Jedenfalls hatte er diese Sachen auch gestern getragen, und heute Morgen waren sie weg gewesen. Also musste sie nach einer kleinen schwedischen Flagge Ausschau halten, die durch den Wald hüpfte.
Jennifer überlegte, warum der Junge wohl von zu Hause weggelaufen war. Angenommen, es handelte sich dabei nicht nur um die Abenteuerlust eines Sechsjährigen, sondern um eine Flucht? Aus irgendeinem Grund. Jennifer war als Kind selbst häufig wütend auf ihre Eltern gewesen, wer war das nicht, aber sie war nie weggelaufen und kannte auch niemanden, der das je getan hatte. Konnte hier ein spannendes Motiv zu finden sein? Wenn sie den Jungen fände, könnte sie ihm bestimmt einige interessante Informationen entlocken. Er war erst sechs. Und in dem Alter hatte man doch wohl noch Respekt vor der Polizei?
Jennifer gelangte zur Kiesgrube. Sie war durstig und verschwitzt. Um sie herum schwirrten Fliegen. Die Kollegen erstatteten ordnungsgemäß alle fünf Minuten über Funk Bericht. Sie verstand nicht ganz, warum man alle fünf Minuten melden sollte, dass man niemanden gefunden hatte. Man hätte sich besser darauf einigen sollen, dass nur derjenige Alarm gab, der einen Fund machte.
Sie war es jedenfalls nicht. Sie wollte gerade wieder umdrehen, als sie hinter der Grube, direkt am Waldrand, etwas aufblitzen sah. Sie kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit der Hand ab. Ein Teil eines Kotflügels und ein zerbrochenes Vorderlicht. Dort stand ein Auto. Ein merkwürdiger Ort zum Parken. Äußerst merkwürdig. Geradezu dubios.
Eine Prostituierte, die ihren Freier dorthin mitnahm?
Ein Drogengeschäft?
Eine entsorgte Leiche?
Jenny öffnete ihr Pistolenholster und näherte sich langsam dem Auto.
B illy hatte geduscht und sich einen Kaffee geholt. Er schielte zu Vanja hinüber, als er durch die Tür des
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