Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
wenn ich es nicht wegen der Kohle mache – ganz umsonst arbeite ich auch nicht.»
«Wie viel willst du?»
«Einen Tausender. Du bekommst einen kleinen Loser-Rabatt.»
Mit diesen Worten schloss Trolle schnell die Tür. Aus der Wohnung war seine Stimme zu hören.
«Ruf mich in ein paar Tagen an!»
Dann wurde es still. Sebastian drehte sich um und ging langsam die beiden Stockwerke nach unten.
A nnette Willén liebte diese Abende. Bereits gegen drei am Nachmittag bereitete sie sich mental darauf vor. Sie folgte immer derselben Routine. Erst eine lange, warme Dusche, bei der sie sich das Haar wusch und ihren Körper mit dieser nach Aprikosen duftenden Peeling-Seife abrubbelte, die sie sich bei Bodyshop gekauft hatte. Dann saß sie eine Weile im warmen Badezimmer, um zu trocknen, bis sie ihre noch leicht feuchte Haut mit der Bodylotion aus der Apotheke einrieb. Sie hatte irgendwo gelesen, dass die Feuchtigkeit besser gespeichert und man von innen heraus zart würde, wenn man die Lotion auf dem noch feuchten Körper anwendete. Anschließend zog sie ihren Bademantel an und wanderte barfuß in ihrem kombinierten Schlaf- und Wohnzimmer herum. Eigentlich hätte sie auch das einzige Schlafzimmer der Wohnung beziehen können, aber es gehörte ihrem Sohn, und sie wollte es sich nicht aneignen, auch wenn er längst ausgezogen war. Das Zimmer war ihre letzte Hoffnung darauf, dass er irgendwann zurückkäme.
Es wieder brauchte.
Sie wieder brauchte.
Würde sie seine Sachen ausräumen, erschiene sein Auszug viel zu endgültig und wirklich.
Annette öffnete ihren Schrank und begann vorsichtig, Blusen, Röcke, Kleider und Hosen herauszunehmen. Einmal hatte sie sogar zu dem Kostüm gegriffen, das sie sich für jenes Vorstellungsgespräch gekauft hatte, zu dem sie nie gegangen war. Aus ihrer übrigen Garderobe stach es heraus wie ein verunsicherter Gast in einem zu schicken Aufzug. Sie legte die verschiedenen Kleidungsstücke auf das Bett, und was dort keinen Platz mehr fand, landete auf dem dreisitzigen Sofa oder dem Sofatisch. Dann stellte sie sich mitten ins Zimmer und ließ die unterschiedlichen Farben, Schnitte und Materialien auf sich wirken. Sie spürte, dass sie die Kontrolle hatte. Außerhalb ihrer Wohnung war sie vielleicht ein unbedeutender Mensch, aber hier und jetzt war sie diejenige, die die Entscheidungen traf. Es war ihr Leben, das da vor ihr ausgebreitet lag, ihr Leben, in das sie bald schon gierig hineinschlüpfen und es anprobieren würde.
Als sie sich bereit fühlte, ging sie in den Flur und hob den Spiegel vom Haken, trug ihn ins Schlaf- und Wohnzimmer und lehnte ihn dort gegen die Wand. Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete sich selbst, wie sie dort stand, frisch geduscht, in ihrem rosafarbenen, etwas zu kurzen Bademantel, den sie von ihrem Sohn zum vierzigsten Geburtstag bekommen hatte. Jedes Mal traf sie aufs Neue die Einsicht, wie alt sie geworden war. Nicht nur ihr Haar wirkte dünner und hatte weniger Lebenskraft, sondern auch sie selbst. Sie hatte schon lange damit aufgehört, sich nackt vor den Spiegel zu stellen. Es war einfach zu deprimierend, sich selbst zu begegnen, wenn sich der Lauf der Zeit so aufdringlich bemerkbar machte. Für ihren Körper brauchte sie sich allerdings nicht zu schämen. Sie hatte schon immer weibliche Formen gehabt, aber nie Gewichtsprobleme. Nein, sie war noch immer schlank, mit schönen Beinen und vollen, festen Brüsten. Nur ihre Haut wurde mit jedem Jahr, das verging, fahler und faltiger. Als würde sie allmählich verschrumpeln, wie ein Pfirsich, der zu lange in der Sonne gelegen hatte, egal, wie viele Peeling- und Anti-Aging-Produkte sie verwendete. Das machte ihr Angst, besonders weil sie spürte, dass die Zeit ihre Reise mit ihr begonnen hatte. Dabei war der Weg, den sie zurücklegen mussten, noch weit, und eines Tages würde sie hier stehen und sich nicht mehr wiedererkennen. Ausgerechnet jetzt, wo sie bald anfangen wollte zu leben.
Ernsthaft. Richtig.
Sie begann die Kleider anzuprobieren, um sich von ihren Gedanken abzulenken. Alles musste mit allem getragen, jede Kombination und Möglichkeit getestet werden. Wer wollte sie heute sein?
Wenn sie jünger sein wollte, konnte sie das schlampige Jeansmädchen mit dem ausgebeulten Pulli sein, oder der schwarz gekleidete, sportliche Frauentyp in dem kurzen schwarzen Kleid mit der gewagten Spitze. Annette liebte es, diese Frau zu sein. Besonders, wenn sie sich traute, dazu den dunkleren Lippenstift
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