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Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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sich vor und unterbrach nahezu flüsternd Stigs monotones Gewäsch.
    «Aber wenn dir Tabletten dabei helfen, die Dinge anzugehen, solltest du es trotzdem noch mal damit versuchen. Es ist keine Schande, sich auf diesem Weg helfen zu lassen.»
    Die anderen Gruppenteilnehmer nickten und brummten zustimmend, aber Sebastian konnte nicht erkennen, ob sie es aus freudiger Erleichterung taten, weil jemand anders die Bühne erklommen hatte, oder ob sie dem Vorschlag tatsächlich zustimmten. Sebastian betrachtete die Frau. Sie war in einem unbestimmten Alter über vierzig, schlank, beinahe winzig, hatte dunkles, dünnes Haar und trug diskretes Make-up. Sie war schlicht gekleidet, bis auf eine viel zu große Halskette, an der sie nervös herumnestelte. Sie suchte die Blicke der anderen, ehe sie fortfuhr. Sebastian hatte den Eindruck, dass sie gesehen werden wollte, es gleichzeitig aber nicht wagte, mehr Raum einzunehmen. War sie zu oft unterdrückt worden? Daran gewöhnt, zum Schweigen gebracht zu werden? Er lächelte ihr aufmunternd zu und versuchte, ihren plötzlich wieder ausweichenden Blick einzufangen.
    «Ich erkenne mich darin wieder», sagte sie jetzt. «Man hat das Gefühl, dass alles liegenbleibt, dass man nichts zustande bringt.»
    Sebastian lächelte sie weiterhin an. Er hatte gerade die Einsicht gewonnen, dass dieser Abend ertragreicher werden könnte als gedacht.
    «Ganz genau, Annette», bestätigte Stefan. «Wenn man nicht weiterkommt, muss man neue Wege ausprobieren. Oder nicht? Du hast das ja wirklich getan.»
    Annette nickte und redete weiter. Sebastian sah, wie sie durch die Ermutigung wuchs, wie sie sich traute, weiter auszuholen, das Gesagte näher zu erklären. Die beiden kannten sich gut, sie und Stefan, dachte Sebastian, als er sie reden hörte. Er erkannte Stefans Worte in ihren Sätzen wieder. Sie war eine Langzeitige. Eine Patientin, die schon so lange in Therapie war, dass sie begonnen hatte, wie ihr Therapeut zu sprechen. Stefans aufmunternder Zuspruch und sein familiäres Lächeln bestätigten Sebastians Theorie. Die kleine, unscheinbare Annette war schon ewig bei Stefan in Behandlung. Sebastian grinste vor sich hin. Stefan lagen seine Patienten wirklich am Herzen. Einen Beweis dieser Schwäche hatte er selbst vor einigen Stunden unter einem Laubbaum vor der Sandhamnsgatan 44 erleben dürfen.
    Er kümmerte sich etwas zu sehr, um professionell zu sein.
    Etwas zu sehr, um wirklich helfen zu können.
    Die kleine, unscheinbare Annette gehörte definitiv zu jenen, die ihm am Herzen lagen. Die er mochte. Das konnte Sebastian an dem Zusammenspiel der beiden erkennen. Genau dort lag Stefans Achillesferse.
    Sebastian lächelte die dunkelhaarige Frau erneut an. Es war doch zu schön. Alles fügte sich wie von selbst, und plötzlich wusste er, wie er Stefan zeigen konnte, dass man Sebastian Bergman nicht ungestraft in eine Gruppentherapie steckte.

    Nachdem die Gruppe fünfundsiebzig Minuten im Kreis gesessen hatte, wurde es endlich Zeit für den obligatorischen Kaffee vor dem Ende der Veranstaltung. Stefan hatte den Abend mit einigen geschickt gewählten Klischees über Nähe und die wohltuende Kraft der sozialen Anteilnahme beendet und Sebastian mit einem strengen Blick klarzumachen versucht, dass der zu keinem dieser Punkte etwas beigetragen hatte. Sebastian hatte als Antwort nur ein Gähnen übrig, und als sie aufstanden, entschwand er schnell in Richtung des Kaffeetischs und der Frau. Stefan wurde sofort in eine Diskussion verwickelt, von Stig und einem jüngeren Mann, der beharrlich von «Alk» redete und seine Frau immer wieder als «die Alte» oder «die Regierung» bezeichnete. Diese Gesellschaft geschah Stefan ganz recht, dachte Sebastian und sah zu Annette hinüber, die am Kaffeetisch vorbeiging, ohne sich etwas zu nehmen, und im Aufbruch begriffen schien. Sebastian erhöhte sein Tempo und steuerte auf sie zu.
    Annette ging langsam in Richtung Ausgang, unsicher, ob sie noch zum Kaffee bleiben sollte. Normalerweise tat sie es immer, sie hielt es für einen perfekten Abschluss dieser Abende. Schließlich war sie diejenige in der Gruppe, die bisher am längsten durchgehalten hatte. Sie war wichtig. Ein richtiger Gruppentherapieprofi, so hatte Stefan sie einmal genannt, und auch wenn er es scherzhaft gemeint hatte, hatte sie doch wochenlang von seinen Worten gezehrt.
    Sie. Ein Profi.
    Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Hier war ihr Platz, das wusste sie. Wenn sie im Stuhlkreis saß, wagte sie

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