Die Frauen von Bramble House
des Hauses nannte sie Peggy? Charlie. Aber Charlie war weg, und es war außerdem nicht seine Handschrift. Im vergangenen Jahr hatte sie Postkarten von ihm von seiner Tournee mit dem Quartett aus dem Ausland erhalten, aber sie waren natürlich nie irgendwie persönlich gewesen, sondern hatten nur berichtet, wie es mit den Konzerten ging.
Sie schlitzte den Briefumschlag auf und nahm das einzelne Blatt Papier heraus.
Liebe Mrs. Jones,
es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr zu Ihnen kommen. Meinem Bruder geht es gar nicht gut, und ich glaube, ich bleibe besser zu Hause bei ihm. Es tut mir sehr leid, bitte glauben Sie mir das, es tut mir sehr, sehr leid, weil ich wirklich gern bei Ihnen war.
Mit großem Bedauern,
Ihre sehr ergebene
Rosie
Peggy reichte den Brief ihrer Großmutter. »Es geht um ihren Bruder. Dem muß es ja sehr schlecht gehen, wenn sie daheim bleiben muß.«
»Das hätte sie dir aber vorher sagen müssen. Es kommt so plötzlich. Ach Gott, sie wird uns fehlen, was?«
»Ja. In mancherlei Hinsicht. Also los, zurück auf Feld Eins.« Peggy brachte ein flüchtiges verkniffenes Lächeln zustande, und die Großmutter sagte: »Ja. In mehr als bloß einer Hinsicht. Jetzt starten wir wieder ganz von vorn. Trotzdem, du könntest ja versuchen, eine andre zu finden. Allerdings bezweifle ich, daß du nochmal so was wie Rosie bekommst.«
»Ja, da dürftest du wohl recht haben, Oma. Aber hör mal, ich hab den Wagen noch draußen stehen. Ich fahre mal einfach zu ihr rüber und schau, ob ich irgendwie helfen kann. Vielleicht kann ich sie ja überreden, sich eine Pflegehilfe zu besorgen für ihren Bruder, so daß sie wenigstens halbtags weiter zu uns kommen kann. Ich glaube nämlich wirklich, es hat ihr hier ebenso großen Spaß gemacht, für uns zu arbeiten, wie uns, daß sie da war. Nicht nur, weil sie so eine perfekte Hauskraft ist, sondern so ein lieber Mensch … so warm und so lebendig.«
»Schön, dann stürze ich mich mal besser auf die Wäsche und überlege mir, was wir zu essen kriegen. Aber fahr du mal ruhig los und kümmere dich darum, was da los ist. Wir können ja später drüber reden …«
Peggy war ein wenig verblüfft, als sie herausfand, daß die Hausnummer 48 an der Beaconsfield Avenue nicht zur Gemeindesiedlung gehörte, sondern eines von mehreren kleinen Terrassenhäusern war, mit Eisenzäunen um die abgeschlossenen, gutgepflegten Vorgärtchen. Peggy stieg aus, bückte sich, um das Gatter zu öffnen, schloß es behutsam wieder hinter sich, schritt den kurzen Weg hinab und klingelte an der Tür. Wenig später stand sie vor einem hochgewachsenen Mann, den sie für Ende Vierzig hielt, was er aber nicht sein konnte, falls er Rosies Bruder war. Er räusperte sich zweimal, ehe er fragte: »Ja?« Dann beugte er sich näher, als könnte er nicht gut sehen, hustete scharf und rasselnd tief aus der Brust, bevor er noch einmal fragte: »Ja? Was wünschen Sie?«
»Ich bin Mrs. Jones. Ich bin Rosie besuchen gekommen.«
»Ach, Rosie sind Sie besuchen gekommen, ja? Zu Rosie? Also, Rosie ist nicht da.«
»Ich … ich habe gedacht, sie … äh …«
»Kommen Sie rein, kommen Sie.« Er riß die Tür weit auf; dann, sie war noch kaum eingetreten, schmetterte er die Tür zu und ging durch eine kleine Diele voran in ein Wohnzimmer. Auch dieses war klein, doch hübsch eingerichtet und wirkte gemütlich.
Der Mann forderte sie nicht auf, sich zu setzen, sondern fragte unvermittelt: »Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Nun, sie sagte, daß Sie … daß es Ihnen nicht gutgeht und daß sie deshalb nicht mehr zu uns kommen kann.«
»Gottverdammte Lügnerin! Sie ist abgehauen!«
»Abgehauen?«
»Wie ich’s gesagt habe, Missis, abgehauen ist sie mit einem Kerl. Ich wußte ja, daß da was in der Luft lag, seit Wochen schon. Jeden Abend war sie weg, konnte nicht früh genug ins Haus huschen und nicht schnell genug wieder loszischen. Damals, als ihr Mann gestorben ist, habe ich sie bei mir aufgenommen und ihr ein Heim gegeben. Er hat das nie getan. Nimm’s leicht und laß dir keine grauen Haare wachsen, geb’s Gott, daß bald wieder Sonntag ist, so war der. Aber ich, ich war nicht wie ein älterer Bruder für sie, ich war mehr wie ein Vater. Es wäre ihre Pflicht gewesen, bei mir zu bleiben, weil ich auch zu ihr gehalten habe! Und das bei meiner Brust!« Er pochte sich mit der Faust auf die Brust. »Staublunge von der Kohle und chronische Bronchitis. Und mein ganzer Rücken und so ist auch ganz kaputt
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