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Die Frauen von Clare Valley

Die Frauen von Clare Valley

Titel: Die Frauen von Clare Valley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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»unverbesserlich« und »widerspenstig« getadelt worden war. Und zweifellos hatten sie und ihr Mann eine hitzige, wenn auch glücklicherweise kurze Ehe geführt, aus der sie Hals über Kopf ausgebrochen war, weil ihr das harte Los einer alleinerziehenden Mutter immer noch erstrebenswerter schien als das Los an der Seite eines prügelnden, charakterschwachen Alkoholikers. Wenn sie nicht den Drang verspürt hätte, etwas zu verändern, etwas Besseres, das Beste aus ihrem, aus Jims Leben zu machen, wie hätte sie geendet? Niedergeknüppelt? Tot vor Erschöpfung und Bedauern? Sie musste handeln – und zwar sofort!
    Hm, vielleicht war das mit der Ungeduld doch gar nicht so neu. Weitere Erinnerungen stiegen auf, die diese neue, ein wenig verstörende Theorie untermauerten. Na schön, ja, vielleicht war es für Geraldine manchmal etwas nervend, wenn sich ihre Schwiegermutter in bestimmte Situationen nicht nur »einbrachte«, sondern »einmischte«. In diesen lächerlichen Streit zwischen Anna, Bett und Carrie beispielsweise. Doch wenn Lola ihren Plan nicht ausgeheckt hätte, hätten die drei womöglich nie wieder miteinander gesprochen. Und es wäre eine weit größere Tragödie gewesen, wenn sie bei Annas Krankheit noch immer zerstritten gewesen wären! Nicht, dass Geraldine ihr je dafür gedankt hätte. Jim auch nicht, doch er war ihr Sohn. Er musste ihr nicht danken.
    Die Veränderung in ihrem Wesen zeigte sich wohl eher in der Tiefe und dem Ausmaß ihrer Empfindungen. Früher hatte sich ihre Problemlöserei auf die Familie und ein, zwei enge Freunde beschränkt. Nun aber verspürte sie den Drang, die Probleme der ganzen Stadt und all ihrer Einwohner zu lösen. Des Staates. Des Landes. Der Welt. War das normal? War das ein letzter Tatenrausch, bevor der Sensemann die Sense schwang?
    Lola hatte das Thema jüngst in ihrem engen Kreis im Wohltätigkeitsladen angeschnitten. Sie teilte vieles mit ihren Freundinnen, nicht nur den Umstand, dass sie alle Witwen waren. Lola hatte durch die Hintertür gefragt, ob die anderen das Gefühl hätten, dass sich mit zunehmendem Alter in ihrem Wesen etwas verändern würde. Nicht im Sinne von Vergesslichkeit als Hinweis auf Alzheimer oder Ähnliches. Rein unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeit. Verspürten sie mit einem Mal den Drang, alles anzupacken?
    Margaret – mit siebenundsechzig würdig ergraut – hatte eine Weile nachgedacht. Nein, hatte sie schließlich befunden. Wenn überhaupt, dann wurde sie gelassener. »Die ganze harte Arbeit liegt doch hinter mir. Jetzt lasse ich die Zügel locker«, hatte sie gesagt. Patricia, sehr gepflegte fünfundsiebzig, hatte Lolas Vorstoß auch zurückgewiesen. Ihre Persönlichkeit sei mittlerweile in Stein gegraben, und das sei ihr sehr lieb. »Mir gefällt der körperliche Aspekt des Alterns nicht, aber auf keinen Fall möchte ich noch einmal die Ängste der Jahre zwischen dreißig und vierzig durchleben. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt so lange durchgehalten habe, wenn man bedenkt, was alles so geschehen kann. Ich hätte vor einen Bus laufen können. Aus einem Flugzeug fallen. Mich hätte ein Zug überfahren können.«
    »Mir war gar nicht bewusst, dass du in Stummfilmen mitgespielt hast«, hatte Lola trocken kommentiert.
    »Du weißt, wie ich das meine. Es passieren doch täglich die seltsamsten Todesfälle. Stromschlag am Toaster. Ertrinken im Planschbecken. Spinnenbiss in der Toilette. Ich aber habe es bis jetzt geschafft. Und ich habe vor, es bis zu meinem Ende ruhig anzugehen. Warum sollte ich jetzt noch das Schicksal herausfordern und mich unnötigen Risiken aussetzen?«
    »Spürst du nicht den Drang, etwas Neues zu probieren? Die Zeit zu nutzen, die dir bleibt, um etwas, wie soll ich sagen, Spektakuläres zu tun? Einschneidendes? Lebensveränderndes?«
    »Was denn? Fallschirmspringen?« Patricia lachte. »Ein Pokerturnier gewinnen? Selbstverständlich! Doch alles bitte online.«
    Daraufhin waren sie abgeschweift und hatten über ihre diversen Aktivitäten im Netz gesprochen. Lola war mit einem unbefriedigten Gefühl aus dem Gespräch gekommen. Sie hatte hören wollen, dass das, was sie empfand, normal war. Aber offenbar stand sie damit allein.
    Lola seufzte. Früher hätte sie mit Bett gesprochen. Sie hatte ihr unter ihren drei Enkelinnen immer am nächsten gestanden. Doch Bett war in jenes chaotische Reich namens Elternschaft entschwunden, und obwohl sich Bett bemüht, ihr zugehört, ihr womöglich sogar Vorschläge

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