Die Frauen von Clare Valley
ausgesprochen professionell, als stammte sie von einem Bühnenbildner oder Architekten, mit sicherem Strich bis in die Einzelheiten. Nur dass darauf weder ein geschmückter Baum noch bunt verpackte Geschenkte noch ein Weihnachtsmann zu sehen waren. In der Bildmitte prangte der Umriss einer Frauengestalt, um die herum sich Dutzende farbiger Bänder zu komplizierten Mustern wanden. Die untere rechte Ecke des Blatts wurde von Mrs Kernaghans Signatur und Copyright beherrscht.
»Sehr nett«, sagte Margaret zögernd.
»Sehr nett«, bestätigte Joan.
Beide sahen zu Lola. Lola hatte Mühe, ihr Blatt festzuhalten und gleichzeitig die Nägel noch fester in die Handflächen zu pressen. Sie stand schon kurz davor, in den »Sehr-nett«-Chor einzustimmen, doch das ging zu weit. »Es tut mir leid, Mrs Kernaghan, mir erschließt sich nicht, was das sein soll.«
Mrs Kernaghan hob das Kinn. »Dies ist eine bildhafte Umsetzung der sommerlichen Hitze, vorwiegend in den traditionellen weihnachtlichen Farben Rot und Grün gehalten, mit Einsprengseln von Gold, Weiß und Blau, was auf die brennende Sonne vor einem weiten Sommerhimmel anspielt. Die Gestalt im Zentrum ist eine metaphorische Darstellung unserer selbst, der menschlichen Rasse, im Kampf gegen die unerbittlichen Elemente der australischen Weiten.«
»Oh«, entfuhr es Kay.
Mumpitz, dachte Lola. Mrs Kernaghans Zeichnung sah aus, als hätte sich eine Schaufensterpuppe in farbigen Bettlaken verheddert. Sie ließ sich selbst noch einmal die Nägel spüren und versuchte es dann mit Diplomatie. »Mrs Kernaghan, ich glaube, dass unser Handelsverband eher in Richtung Krippe denkt. Die Heiligen Drei Könige. Oder Weihnachten am Strand, typisch australisch eben.«
Margaret und Joan nickten begeisterte Zustimmung. Joan war am Vormittag sogar mit ihrer alten Krippe erschienen. Josef wurde zwar nur noch von gelblichem Klebeband zusammengehalten, und die Weisen aus dem Morgenland waren auch nur noch zu zweit, aber Joan war unglaublich stolz gewesen, dass es nach vierzig Weihnachtsfesten mit ihren reichlich ungestümen Söhnen überhaupt noch Vertreter der Weihnachtsbotschaft gab.
Mrs Kernaghan schlug mit der Hand auf den Tisch. Margaret und Joan fuhren zusammen. Lola bekämpfte den Drang, Mrs Kernaghan zu ohrfeigen.
»Wie lautet der Slogan der hiesigen Geschäftswelt?«, fragte Mrs Kernaghan entschieden zu laut. »Nun, ich höre? Sehr richtig. Es gibt keinen. Aber ich sage Ihnen, wie er lauten sollte. Vorausgehen! Vorausschauen! Ein Slogan, der pusht, der Drive hat. Und genau diese Haltung sollte unser Schaufenster demonstrieren! Es sollte zeigen, dass wir Ambitionen, Stil und Drive haben.«
Lola konnte sich nur mit Mühe mäßigen. »Mrs Kernaghan, wir sind ein Wohltätigkeitsladen. Wir verkaufen gebrauchte Waren für wenig Geld und geben den Erlös an Bedürftige weiter. Wir sind doch nicht hier, um Profit zu machen oder Preise zu gewinnen.«
»Was ist denn das für eine Einstellung? Also ich finde, wir sollten die Latte ruhig ein wenig höher legen, meinen Vorschlag befolgen, und wenn ich – Verzeihung, wir – in diesem Jahr nicht gewinnen sollten, können Sie im nächsten Jahr alles so wie immer machen.«
Notfalls, beschloss Lola, würde sie die Jury bestechen. Hauptsache, der Laden kam mit seinem Fenster auf den letzten Platz. »Großartige Idee«, verkündete sie strahlend und ignorierte die erstaunten Blicke von Joan und Margaret. »Und ich finde, wir sollten unbedingt ›Entwurf Mrs Kernaghan‹ in großen Lettern an das Fenster schreiben, damit alle wissen, dass dies Ihr Werk ist. Was meinen Sie?«
Mrs Kernaghan platzte fast vor Stolz.
Eine halbe Stunde später war Lola wieder allein im Laden. Mrs Kernaghan war gleich im Anschluss an das Treffen aufgebrochen. Sie hatte immer etwas Besseres vor, fand aber trotzdem noch die Zeit, alle davon zu unterrichten. Lola war das Gerücht zu Ohren gekommen, dass sich Mrs Kernaghan mit dem Gedanken an eine Kandidatur für das Bürgermeisteramt trug. Lola hätte in jedem Fall für sie gestimmt. Mit etwas Glück wäre Mrs Kernaghan dann so beschäftigt, dass sie nicht mehr in den Laden kommen konnte.
Margaret, Joan und Kay hatten nach dem Treffen nicht gleich gehen wollen.
»So eine Unverfrorenheit!«
»Für wen hält die sich?«
»Warum hast du nachgegeben, Lola?«
»Ich weiß es selbst nicht«, hatte sie wahrheitsgemäß erwidert.
Nach weiteren Minuten der Empörung hatte sich Lola auch sehr gern von ihren Freundinnen
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