Die Frauen von Clare Valley
schon weiter. »Wie kann er so was wagen, Lola? Wie kann er mir und Mum das antun?«
»Ach, Liebes. Er tut dir doch nichts an. Er versucht doch bloß, sich ein neues Leben aufzubauen. Er kann doch nicht ewig trauern.«
»Aber ich! Ich trauere die ganze Zeit. Er darf jetzt noch nicht glücklich sein. Wenn er jetzt schon mit einer anderen Frau zusammen sein kann, hat er Mum doch nie geliebt. Und wenn er sie nie geliebt hat, was mache ich dann hier? Ich hasse es hier. Ich hasse, hasse, hasse, hasse es. Ich will meine Mum.«
Lola bekam feuchte Augen. Die Ladentür ging auf. Sie musste sich beeilen. »Darling, sei bitte nicht so traurig. Und mach dir vor allem keine Sorgen. Ich lass mir etwas einfallen.«
Ellen schniefte. »Was denn? Willst du kommen und mich retten? Du hast doch selbst gesagt, dass deine Beine vor lauter Thrombosen platzen, wenn du länger als zwei Stunden im Flieger sitzen musst.«
»Viele Wege führen nach Rom oder auch nach Hongkong. Überlass das ruhig mir. Ich muss jetzt Schluss machen, aber versprich mir, dass du dir im Spiegel zulächelst, bis es sich echt anfühlt. Und dass du dich bei deinem Vater entschuldigst.«
»Wieso denn? Er ist doch an allem schuld.«
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da ein wenig geschrien wurde? Ein wenig geschmollt?«
Eine Pause. »Etwas.«
»Ist seine Freundin gerade da?«
»Ja. Und ihre blöde Tochter auch.«
»Woher weißt du, dass sie blöd ist, wenn du nie mit ihr geredet hast?«
Darauf gab es keine Antwort.
»Ellen, ich gebe dir jetzt den gleichen Rat, den ich vorhin deiner lieben Tante Bett gegeben habe. Mach deinen Frieden damit. Und hier ist noch ein Rat, nur für dich. Tu notfalls so. Deine Mutter war Schauspielerin und noch dazu eine gute, und durch dich fließt sicher auch Theaterblut. Das kannst du jetzt gut gebrauchen. Mach Anna stolz. Geh da raus und entschuldige dich. Sag den Gästen deines Vaters höflich Hallo. Wenn du mehr nicht schaffst, gut, dann verkriech dich wieder in dein Zimmer. Das reicht ja für den Anfang.«
»Das kann ich nicht.«
»Doch, du kannst und du wirst, oder ich verbünde mich nach meinem Tod mit deiner Mutter, und dann suchen wir dich gemeinsam für den Rest deines Lebens heim.«
»Lola!«
»Es ist mir ernst. Sei nett, nur für fünf Minuten. Und mach dir wegen Weihnachten keine Sorgen. Das ist noch eine Weile hin. Wir finden eine Lösung.«
»Wir?«
»Du. Ich. Dein Dad.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Ich liebe dich, Lola.«
»Nicht so sehr wie ich dich. Also, raus mit dir da, Darling. Und nicht vergessen: lächeln.«
Lola hatte gerade aufgelegt, da hörte sie etwas Komisches. Es klang wie ein lautes Miauen. Nein, oder doch? Sie spähte durch den Vorhang. Doch. Joan hatte nicht nur ihren Camcorder mitgebracht, um ihr neuestes Katzenvideo hochzuladen, sondern auch die Katze selbst. Lola mochte Katzen, doch Joans Katze war die hässlichste Kreatur, die sie je gesehen hatte. Mit rötlichem Fell. Und mürrischem Ausdruck. Die Katze erinnerte sie an … Ja, sie erinnerte Lola an Mrs Kernaghan.
Eine strahlende Joan erschien. »Lola, es macht dir hoffentlich nichts aus. Ich habe Boo-Boo gerade von den lustigen Katzenvideos im Internet erzählt, und ich schwöre dir, er hat mir zumiaut, dass er sie sehen will.«
Notfalls kann er sich ja mit der Maus amüsieren, dachte Lola. Sie stand auf. »Alles dein, Joan. Und viel Spaß beim Zusehen, Boo-Boo.«
Als Luke erschien, um Lola abzuholen, war sie in Gedanken schon bei Ellens Weihnachtsfest.
Kapitel 6
Wie jeden Mittwoch kam Carrie mit den Kindern zu einem frühen Abendessen ins Motel, bevor sie Netzball spielte und ihre Eltern babysitteten. Sie nannte das: meine wenigen Stunden Normalität. Sie aßen nicht im Speisesaal der Gäste, sondern in der Küche und bedienten sich an den Tagesgerichten – an Krabbencocktail, Wiener Schnitzel und Spaghetti Bolognese. Lola sah das nicht gern. Ihr wäre es lieber gewesen, die Kinder hätten im Restaurant vernünftige Manieren gelernt und nicht um den großen Küchentisch herumgestanden und hemmungslos in die Schüsseln gegriffen. Den Brauch hatte Geraldine eingeführt, vermutlich, weil sie auf diese Weise alle um sich scharen und zugleich das Essen für die Gäste vorbereiten konnte. Lola hatte es ihr ausnahmsweise durchgehen lassen. Nun spielten die Kinder im Veranstaltungsraum und zerschlugen, dem Lärm nach zu urteilen, dort Tische und Stühle. Lola versuchte, nicht zusammenzufahren, als ein
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